Im Tal des Schneeleoparden
Antiquitäten.«
»Ich finde deine Frage nicht indiskret, sondern verständlich. Die Antwort ist einfacher, als du denkst: Handel. Ich bin Spezialist für tibetische Teppiche und habe im Laufe von drei Jahrzehnten einen beträchtlichen Kundenstamm in Europa und Amerika aufgebaut. Die Exiltibeter in Nepal sind nicht nur kunstfertig, sondern auch enorm produktiv, aber auch die Nepalesen sind phantastische Kunsthandwerker. Vieles von dem nepalesischen Kunstgewerbe, das du in Deutschland in den besseren Einrichtungsgeschäften kaufen kannst, ist zuvor durch meine Hände gewandert. Und was das Haus anbelangt, würdest du erstaunt sein, wie wenig es mich gekostet hat. Ich habe es Anfang der Achtziger in einem erbärmlichen Zustand erworben und dann nach und nach renovieren lassen. Es steckt übrigens auch eine Menge meiner eigenen Arbeit darin. Die Nepalesen waren ganz aus dem Häuschen, als ich gemeinsam mit ihnen Steine schleppte und Wände mauerte.«
»Ingrid erwähnte, dass du eine handwerkliche Ader besitzt. Sie meinte, ohne dich wäre der Foelkenorth wahrscheinlich zerbröselt.«
»Ein wahres Wort. Ich nehme an, genau das ist passiert, oder?«
»Fast.«
Achim setzte sich ebenfalls auf die Bank, lehnte sich gegen die Wand und legte die Beine hoch. »Foelkenorth«, murmelte er. »Ich habe lange nicht an diese Zeit gedacht.«
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42
1969 bis 1970
A chim rüttelte prüfend am Fensterflügel. Er saß wieder fest. Zufrieden klaubte er sein Werkzeug zusammen und ging um das Wohnhaus herum in den Garten, wo sich die Bewohner des Foelkenorths ausnahmsweise einmal nützlich machten, Tische, Teller und Getränkekisten heranschleppten, den Wildwuchs auf dem Rasen zurückstutzten und das Gemüse ernteten, das der Esel Jim übrig gelassen hatte. Er grinste in sich hinein. Es ging doch.
Seit gut einem Jahr lebte er nun auf dem Foelkenorth, nicht aus echter Überzeugung, sondern mangels Alternative. Es gefiel ihm im Grunde recht gut, und während sich der Rest der Truppe in seligem Nichtstun erging, kümmerte er sich darum, das Haus vor dem Verfall zu bewahren. Lauter Kinder, dachte er, behütete Bürgerkinder, nicht in der Lage, einen Nagel in die Wand zu schlagen.
Oder ein ordentliches Lagerfeuer zu entfachen. Eigentlich sollte ich sie ihre Würstchen roh essen lassen. Dann würde er allerdings auch keines bekommen, was sehr schade wäre. Schließlich hatte es ihn genügend Nerven gekostet, seine Mitbewohner zu einem deftigen Grillfest mit allem Drum und Dran zu überreden und einen Einkauf beim Klassenfeind in der Schlachterei Harms zu initiieren.
Pieter kam mit einem Arm voller Zweige und Äste angeschwankt. »Wohin damit?«
»Lass es einfach fallen«, knurrte Achim, »und dann sieh mir zu. Beim nächsten Mal machst du es. Wer weiß, wie oft wir auf der Fahrt nach Indien auf uns selbst gestellt sein werden?« Er warf tote Äste und Zunder auf einen Haufen und schichtete dann große Holzscheite darüber, die er selbst vor einigen Wochen gespalten und zum Trocknen in der Scheune gelagert hatte. Angesichts Pieters kindlicher Neugierde, mit der er jedem seiner Handgriffe folgte, konnte sich Achim ein Lachen nicht verkneifen. Sobald sein Werk vollendet war, hieb er dem Jüngeren die Hand so fest auf den Rücken, dass er vor Schmerz ächzte. »Hat dein Alter dir das denn nicht beigebracht?«
»Nein.« Pieter schüttelte den Kopf. »Der ist Oberstudienrat. Ich schätze, er weiß selbst nicht, wie man ein Feuer macht.«
»Sollte er aber. Hat man doch bei der Wehrmacht gelernt.«
Pieter zuckte zusammen. »Wie kommst du darauf, dass mein Vater bei der Wehrmacht war?«
»Weil alle da waren. Zumindest fast alle.« Achim drehte sich um und ließ Pieter stehen. So war es immer: Seine Mitbewohner echauffierten sich über die Naziväter im Allgemeinen, aber wenn es um die eigene Familienvergangenheit ging, steckten sie den Kopf in den Sand. Vielleicht war es gut so. Hier probierten sie etwas Neues, und das tat man besser unbelastet.
Zwei Stunden später hatten sich alle dreizehn Bewohner des Foelkenorths um das Feuer geschart. Die Männer steckten in flickenbesetzten Jeans, während sich die Frauen mit Baumwollblusen, langen Ketten und indischen Zigeunerröcken herausgeputzt hatten, deren eingenähte Spiegelscheiben im Feuerschein blitzten. Alle waren barfuß und, wie Achim nicht ohne eine Spur von Häme feststellte, futterten begeistert ihre Ausbeuterwürstchen samt Kapitalistenketchup. Was sie allerdings nicht davon
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