Im Tal des Schneeleoparden
Gesicht auf. Sie begriff, dass der Alptraum endlich vorbei war.
»Ich komme mit euch.« Tara verschränkte die Arme vor der Brust. »Ihr könnt noch so viel dagegenreden, mein Entschluss steht fest.« Sie hob die Hand, um die Einwände der anderen zu unterdrücken, die sich zum Kriegsrat in der Wohnung in Jaisidewal versammelt hatten: Sarungs Eltern, Kim, Achal, der Arzt, den sie nun schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage aus dem Bett geholt hatten, Sapana, Tara und der Herr der Vögel, dessen rasante Gesundung selbst den Arzt verblüffte. Der Alte sah zwar durch die Blutergüsse im Gesicht nach wie vor ziemlich mitgenommen aus, bewegte sich aber trotz seines eingegipsten Arms durch die Wohnung, als sei nichts gewesen. Es musste ihn eine enorme Willensanstrengung kosten, aber er hatte triftige Gründe, wieder auf die Beine zu kommen. In drei Stunden startete das Flugzeug in die Berge, und außer ihm kannte niemand den Weg.
»Und auch ich werde in dieses Flugzeug steigen«, spann Tara ihren Gedanken laut weiter. »Wir haben drei Plätze gebucht, aber da Achal nun ausfällt, nehme ich seinen Platz ein.«
»Es könnte sehr gefährlich werden«, warnte Achal.
Tara lachte leise und kniete sich vor das Sofa, wo er lang ausgestreckt lagerte. »Das sagst ausgerechnet du, lieber Freund? Haben wir in den letzten drei Wochen auch nur einen Tag erlebt, der keine Gefahren barg?«
Achal ließ sich nicht beirren. »Sapana ist frei. Du hast dein Ziel erreicht.«
»O nein, da täuschst du dich gewaltig. Die Geschichte ist erst zu Ende, wenn ich den Bhoot vernichtet habe.«
Sapana schaltete sich ein. »Tara, lass die Männer allein gehen. Was geht dich die fremde Frau an? Ich will keine Rache.«
Tara fuhr herum. »Aber ich!« Ihre Wangen brannten vor Ärger, als sie in die angstvoll aufgerissenen Augen ihrer Schwester blickte. »Das kann nicht sein, Bahani! Du kannst unmöglich wünschen, dass der Bhoot davonkommt. Seit ich denken kann, hat er unsere Familie gequält. Er hat dir Gewalt angetan!«
Sapana senkte den Kopf.
»Und was Anna anbelangt: Sie geht mich durchaus etwas an. Schon als ich sie das erste Mal sah, wusste ich, dass unsere Schicksale miteinander verwoben sind. Die Götter haben uns zusammengeführt und mich dazu bestimmt, den Bhoot zu zerstören. Im Übrigen hat Kim keinen Moment gezögert, bei deiner Befreiung mitzumachen, und nun werde ich helfen, seine Freundin zu retten.«
»Aber was soll eine Frau denn tun? Kämpfen ist Männersache«, flüsterte Sapana.
Das Tier, das schon so lange in Taras Innerem wuchs, befreite sich mit einem letzten Ruck. Sie richtete sich auf und ließ den Blick über ihre neuen Freunde wandern. »Ich bin genauso gut wie jeder Mann«, sagte sie und staunte über die Härte in ihrer Stimme. »Und deshalb treffe ich meine Entscheidungen auch selbst. Ich fliege.«
Achal stieß einen resignierten Seufzer aus. »Du bist die sturste Frau, die ich kenne. Und die tapferste.« Dann nahm er ihre Hände in seine. »Geh. Hier findest du ohnehin keine Ruhe. Aber versprich mir, auf dich aufzupassen.«
»Zum letzten Mal: Nein!«
»Aber ich kann ihn doch nicht fortjagen«, flehte Tara. Die Gefühlsaufwallung hatte sie völlig unvorbereitet getroffen – wer hätte je davon gehört, dass eine Bauerntochter wegen eines Tieres weinte, doch jetzt war sie den Tränen nahe. Hilfesuchend flatterten ihre Blicke zwischen dem Mann von der Sicherheitskontrolle, dem Sadhu, Kim und dem Hund hin und her. Der Hund drückte sich mit schief gelegtem Kopf gegen sie und verfolgte aufmerksam das Geschehen. Tara spürte die Wärme seines Körpers an ihrem Bein. Der Gedanke, dass sie den Hund nicht mit ins Flugzeug nehmen durfte, war ihr überhaupt nicht gekommen, andernfalls hätte sie ihn in Jaisidewal zurückgelassen. Niemand hatte darüber nachgedacht, vielleicht war es den anderen in der Hektik auch entgangen, dass sie gemeinsam mit ihm ins wartende Taxi gestiegen war. Und nun wusste sie nicht mehr ein noch aus. Die große Halle des Flughafens, zu dieser frühen Stunde beinahe menschenleer, schüchterte sie ein, ebenso die grimmigen Soldaten, die überall herumstanden und jeden Fluggast wachsam beäugten, und am meisten dieser Mann, von dem es nun abhing, was weiter geschah. Da sie ohne Begleitung zum Flughafen gefahren waren, konnte sie den Hund niemandem anvertrauen.
»Und wenn wir Ihnen Geld geben?«, fragte sie verzweifelt.
Der Mann lachte trocken. »Geld? Wollen Sie mich bestechen?«,
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