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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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das Gespräch auf ihre verunglückten Großeltern brachte, und jetzt war es zu spät. Es gab niemanden mehr, den sie fragen konnte. Bärbel war ein Einzelkind gewesen, und Anna und Timo die Letzten ihrer Familie.
    »Ja«, sagte sie stattdessen. »Danke. Ich danke Ihnen.« Unfähig, auch nur ein weiteres Wort zu sagen, legte sie auf.

[home]
8
    September 2003
    D ie Wolken waren am frühen Vormittag von Westen heraufgezogen und hatten den Thorung-La-Pass in undurchdringliche Schwaden gehüllt. Die beiden Wanderer hielten ihre Blicke fest auf den Boden geheftet, um den ohnehin kaum sichtbaren Pfad nicht versehentlich zu verlassen. Verlören sie in der dicken Suppe die Orientierung, konnte diese Unachtsamkeit leicht in einer Katastrophe enden. Sie kannten das Gelände nicht und hatten auch keinen Führer angeheuert, denn der Annapurna-Rundtreck – eine Wanderung, die den Abenteuerlustigen je nach Kondition in zwei, vielleicht drei mühseligen Wochen einmal um das Annapurna-Massiv herumführte – galt als relativ sicher und auch ohne Ortskenntnisse zu bewältigen. Matthias und Peter waren erfahrene Bergwanderer, in ihrem Heimatland, der Schweiz, hatten die Freunde schon viele Touren unternommen. In den letzten zwölf Tagen waren sie kontinuierlich bergan gestiegen, ohne dass es sie sonderlich Kraft gekostet hätte, und insgeheim hatten sie auf langsamere Wanderer herabgeblickt. Natürlich waren all diese Wanderer ebenso wie sie Touristen gewesen, mit den Nepalesen maßen sie sich wohlweislich nicht.
    Doch so leicht sie den bisherigen Fußmarsch bewältigt hatten, so entsetzlich litten sie heute. Beide merkten, dass sie ihre körperlichen Grenzen beinahe erreicht hatten, aber aufgeben würden sie auf keinen Fall. Sie waren siebenundzwanzig Jahre alt, durchtrainiert und mit dem nötigen Willen ausgestattet, um auch diesen härtesten der Wandertage zu überstehen und den Thorung-La-Pass zu bezwingen, an dem so viele der Touristen scheiterten. Verbissen kämpften sich die jungen Männer vorwärts, bis sie ihrem Ziel weitere vierzig, fünfzig oder gar hundert kurze Schritte näher gekommen waren, dann pausierten sie und atmeten schwer und schnell, um der dünnen Luft etwas mehr Sauerstoff abzutrotzen. Sie waren seit drei Uhr morgens auf den Beinen, und während die Kälte sie in Wangen und Nase biss, hatten sie sich in tiefer Dunkelheit über steile Serpentinen einen beinahe lotrechten Felsabbruch hinaufgemüht, waren dann über sanft ansteigendes Gelände zwischen Schotterhalden und tiefen Gullys weitergestapft und hatten bei Sonnenaufgang eine Pause eingelegt, um im Schatten der beiden den Pass bewachenden Sechseinhalbtausender ihre Schokoladeriegel zu essen. Sie hatten sich gut gefühlt und mit Befriedigung gespürt, wie die steigende Sonne an Kraft gewann und ihnen die Kälte der Nacht aus den Gliedern trieb. Satt und warm würde es ein Kinderspiel sein, den Pass zu überwinden – doch zu ihrer Enttäuschung mussten sie lernen, dass das Wetter im Himalaya ebenso unberechenbar war wie in den Alpen. Seit Stunden quälten sie sich nun schon durch die feuchten Nebel, ohne zu wissen, wie weit sie noch vom Scheitelpunkt des Passes entfernt waren, der mit beinahe fünfeinhalbtausend Metern über dem Meeresspiegel sechshundert Meter höher lag als der Gipfel des Montblanc, des höchsten Berges der Alpen.
    »Was war das?« Sie hatten schon lange keinen Atemzug zum Sprechen geopfert, und so klangen Peters leise hervorgestoßene Worte wie ein Schrei, der Matthias einen Schauder durch den Körper jagte. Erschrocken blieb er stehen und drehte sich zu seinem Freund um.
    »Was meinst du?«, fragte er alarmiert. Ohne zu wissen, warum, sprach er ebenfalls mit gesenkter Stimme. Zwischen der dicken Wollmütze und dem bis zur Nasenspitze hochgezogenen Jackenkragen starrten Peters weit aufgerissene Augen nach rechts, wo sie den ansteigenden Hang des einen Wächterbergs vermuteten.
    »Da drüben, bei den Felsen. Ein großes Tier.«
    Matthias versuchte, sich in den wirbelnden Wolkenfetzen zu orientieren und erkannte mit Mühe einige große Klumpen, die er für Felsen hielt. Der Nebel verzerrte alle Umrisse, verschlang sie, gab sie wieder frei, nur um sie erneut seinen Blicken zu entziehen. Ein Tier konnte er nicht erspähen, sosehr er sich auch anstrengte. Kopfschüttelnd wandte er sich abermals seinem Freund zu. »Da ist nichts.«
    »Nein«, murmelte Peter. »Jetzt nicht mehr. Aber da war was.«
    »Der Sauerstoffmangel gaukelt dir

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