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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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stehengeblieben?«
    »Mein Großvater hat Mami verboten, dich zu sehen.«
    »Ach ja. Nun, kurz darauf hatten Babsi und ich unsere mittlere Reife in der Tasche. Babsi wurde zu einer Sekretärinnenlehre gezwungen, während ich mich nicht entscheiden konnte, ob ich das Abitur machen, Schneiderin werden oder einfach nur das Leben genießen sollte. Nach einem Jahr, in dem ich mal hier, mal da gejobbt hatte, fiel die Wahl auf Letzteres. Ich lernte einen spannenden Typen kennen, einen mit blaugetönter Sonnenbrille und langen Haaren, der nicht nur Bob-Dylan-Songs draufhatte, sondern sogar ganz akzeptable Hendrix-Nummern auf seiner Gitarre schrammelte. Ich war hin und weg und bin ihm drei Monate später zum Foelkenorth gefolgt. Meine Eltern reagierten nicht sonderlich begeistert, versuchten aber auch nicht, mich zur Rückkehr zu bewegen.« Ingrid machte eine Pause und zog an ihrer Zigarette. »Ich glaube, im Grunde ihres Herzens verstanden sie mich. Draußen in der Welt gab es Woodstock und den Summer of Love, Women’s Lib, Trips und Frank Zappa, und in Gießen Kasseler mit Sauerkraut, serviert Schlag zwölf Uhr mittags. Babsi war am Boden zerstört, als ich ihr von meinen Plänen erzählte, und am liebsten hätte ich ihr angeboten mitzukommen, doch es ging nicht.«
    »Warum nicht?« Anna saß mittlerweile völlig angespannt auf der Sofakante.
    »Babsi war erst siebzehneinhalb, die Volljährigkeit lag also noch in weiter Ferne. Das Alter für Volljährigkeit wurde ja erst 1975 von einundzwanzig auf achtzehn heruntergesetzt. Mir war völlig klar, dass dein Großvater Himmel, Hölle und Polizei auf uns hetzen würde, sollte Babsi abhauen.«
    Sie machte eine längere Pause.
    »Ein Jahr später stand sie trotzdem vor der Tür unserer Kommune. Sie musste einen fürchterlichen Streit mit ihrem Alten gehabt haben, erzählte mir aber erst Jahre später, was vorgefallen war. Wir haben nie von ihm gehört, auch nicht von ihrer Mutter oder dem miesen Bruder oder der Polizei. Bärbel fügte sich schnell in die Kommune ein, wenn sie es auch nicht so mit der freien Liebe hatte.«
    Ein ersticktes Schnaufen von Anna ließ Ingrid innehalten.
    »Schockiere ich dich?«
    »Mami in einer Kommune? Freie Liebe?« Anna verstand die Welt nicht mehr.
    Ingrid streichelte ihr übers Haar. »Mädchen, du erinnerst mich mehr und mehr an deine Mutter. Du bist genauso harmlos wie sie.«
    Anna straffte sich. »Mach weiter. Ich kann es aushalten.«
    »Wie du meinst. Also, wie ich schon sagte, Babsi hüpfte nicht mit jedem ins Bett, sehr zum Bedauern einiger Männer. Die waren nämlich alle in sie verliebt. Babsi war ein außerordentlich hübsches junges Mädchen. Das hat sie dir vererbt.«
    »Ich bin doch nicht hübsch.«
    »Stimmt, du bist nicht hübsch. Du bist schön. Und ich habe eine Ahnung, woher deine Schönheit stammt.«
    Anna sah Ingrid fragend an, doch die ging nicht darauf ein und fuhr mit ihrer Erzählung fort.
    »Im Frühling 1968, etwa ein halbes Jahr vor Babsis Ankunft, stieß Achim Bendig zu uns. Er war ziemlich cool, etwas älter als die meisten, hatte immer Shit in der Tasche, das er freigebig verteilte, und besaß einen VW -Bus. Wir bemalten ihn mit einem Mischmasch aus Blümchen und Peace-Zeichen und was uns sonst noch so in den Kopf kam und fuhren kreuz und quer durch Ostfriesland.« Ingrid unterbrach sich lachend. »Es war so eine Art Acid-Test-Bus für die armen Verwandten. Ich erklär’s dir später«, winkte sie ab, als Anna Genaueres wissen wollte. »Jedenfalls gab es diesen Bus, und es dauerte nicht lange, bis irgendwer auf die Idee kam, damit nach Indien zu fahren. Vielleicht hatte sogar Achim selbst davon angefangen. Ein paar von uns waren sofort begeistert, und in den darauffolgenden Monaten waren wir die fleißigsten Hippies Deutschlands. Arbeit kam natürlich nicht in Betracht, wir waren schließlich gegen die Spießbürger und alles, was mit ihnen zusammenhing, aber mit Straßenmusik und Pflastermalerei in Oldenburg und Bremen konnten wir einiges Geld zusammenkratzen. Marten nahm einen Job als Bademeister an, was sich gerade noch mit unserer Verachtung der Gesellschaft vereinbaren ließ, und unsere Hanfzucht im Gemüsegarten warf auch etwas ab. Im August 1969 war es so weit: Babsi, Pieter, Marten und ich kletterten in den mit Decken, Campingutensilien, Klamotten, Kassetten und Gitarren vollgestopften Bus, Achim klemmte sich hinters Lenkrad, und los ging es ins gelobte Land der Erleuchtung und des billigen

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