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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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Marihuanas.«

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19
    1969 bis 1970
    I ngrid konnte sich kaum noch wach halten. Am liebsten hätte sie einen der Männer geweckt, um sich am Steuer ablösen zu lassen, aber die hatten noch mehr gekifft als sie und schliefen trotz der legendären Schlaglöcher des durch Jugoslawien führenden Autoputs wie die Engel. Babsi lag in einer aberwitzigen Haltung neben ihr auf dem Beifahrersitz und kam leider nicht als Gesprächspartnerin in Frage. Ingrid sah wieder nach vorn, gerade rechtzeitig, um einem Schlagloch von den Ausmaßen eines Planschbeckens auszuweichen. Ihr Herz pochte im Hals, als sie den Wagen wieder unter Kontrolle hatte. Babsi murmelte etwas im Schlaf und rekelte sich auf dem Sitz, um eine bequemere Position zu finden. Mann, die muss ziemlich zugedröhnt sein, wenn dieses Manöver sie nicht geweckt hat, dachte Ingrid. Und ich brauche jetzt auch meinen Schlaf. Entschlossen beugte sie sich vor und starrte auf der Suche nach einem Stellplatz durch die Windschutzscheibe. Zehn Kilometer weiter lenkte sie den Bus über einen einsamen Feldweg, bis der Abstand zum Autoput ausreichte, um nicht von den Scheinwerfern der vorüberhuschenden Autos erfasst zu werden, und kam zum Stehen. Dann verließ sie den Bus und suchte nach einem diskreten Plätzchen. Es gab zwar keine Büsche, doch die Dunkelheit gewährte ihr auch auf dem weiten Feld Schutz. In einiger Entfernung geisterten rote und weiße Lichter durch die Nacht, die einzigen Anzeichen menschlichen Lebens.
    Kurz darauf öffnete Ingrid die Seitentür des Busses und klaubte aus dem Gewirr von Armen, Beinen und langen Haaren zwei Decken, eine Kerze und einen kleinen Beutel. Sie ließ die Tür offen – die Nacht war so schön, dass sie sicher auch Eingang in die Träume der anderen fand. Nachdem sie es sich mit den Decken ein Stück entfernt gemütlich gemacht hatte, drehte sie sich einen Joint und legte sich auf den Rücken. Der Boden speicherte noch ein wenig von der Hitze des Tages, und Ingrid genoss den staubig-warmen Duft des Südens. Über ihr spannte sich ein Sternenhimmel, wie sie ihn in Deutschland niemals gesehen hatte, und es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass es sich bei dem wolkigen Band, das sich von einem Horizont zum anderen erstreckte, nicht um den Rauch ihres Joints handelte, sondern um die Milchstraße. Sie träumte sich dort hinauf, folgte dem Weg der Milchstraße in die Richtung, in der sie den Osten und Indien vermutete. Indien! Allein das Wort versetzte sie in Aufregung. In wenigen Wochen würde sie dort sein, weit fort vom deutschen Spießbürgermief, der sich zwar nicht im Foelkenorth hatte einnisten können, ihn aber umwabert und eine erstickende Glocke aus Ablehnung und unverhohlener Verachtung über ihre Gemeinschaft gestülpt hatte. »Geht doch nach drüben!«, hatte noch zu den harmlosesten Sprüchen gehört, die ihnen zugezischt worden waren, wenn sie es wagten, mit Batikkleidern und bunten Blusen, Samthosen und geflickten Jeans in einem der umliegenden Städtchen einkaufen zu gehen.
    Ingrid rollte sich seufzend zur Seite und drückte den aufgerauchten Joint in den Acker. Sie war aus ihrem Elternhaus getürmt, um etwas Neues auszuprobieren, aber richtig wohl gefühlt hatte sie sich auch auf dem Hof nicht. Die Männer benahmen sich nach wie vor unmöglich, und wenn nicht sie und die anderen Frauen für Ordnung gesorgt hätten, wären die Ratten bald die Alleinherrscher über den Foelkenorth geworden. Im Garten, eigentlich dazu gedacht, die Kommunenmitglieder zu Selbstversorgern zu machen, gedieh lediglich der Hanf prächtig, von allem anderen hatten sie ohnehin keine Ahnung. Als die Idee mit der Indienfahrt aufkam, war Ingrid sofort Feuer und Flamme gewesen. Dort gab es neue Lebenskonzepte, verhießen exotische Lehren ein anderes, erfüllteres Leben fern des Konsums und allem, was ihren Eltern heilig war.
    Ingrid verschränkte die Arme unter dem Kopf und starrte auf die Milliarden Lichter. Eigentlich mochte sie ihre Eltern. Sie waren zwar ebenso borniert wie alle anderen, aber es hatte nie an Liebe gefehlt wie in Babsis Elternhaus. Sie wunderte sich noch heute, dass Babsis tyrannischer Vater ihnen nicht die Bullen auf den Hals gehetzt hatte. Sie kicherte haltlos. Wenn der wüsste, dass seine Tochter völlig breit in einem Bus voller langhaariger Gammler lag, würde er wahrscheinlich einen Herzinfarkt bekommen. Ingrids Kichern wurde stärker, das gute afghanische Dope, das sie gestern einem durchgeknallten Amerikaner

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