Im Tal des Schneeleoparden
abgekauft hatte, der gerade aus Indien kam und sehr darüber staunte zu erfahren, er befände sich de facto im Ostblock, tat seine Wirkung. Sie war sich plötzlich sicher, dass das Himmelsgewölbe ein gigantisches Salatsieb war, und durch die Sternenlöcher sah sie missbilligende Augenpaare auf sich gerichtet. Aber anstatt sie zu beunruhigen, bestätigten die Abgesandten des Spießerhimmels nur die Richtigkeit ihres Tuns. In einem Hochgefühl schloss sie die Augen und sank bald in tiefen Schlaf.
Ein lautstarker Streit ließ Ingrid hochschrecken und verständnislos in die Sonne blinzeln, die groß und gelb über den Spitzen einiger weit entfernter Berge schwebte. Ingrid rieb sich die Augen und drehte den Kopf, auf der Suche nach dem Ursprung der aufgeregten Männerstimmen. Sobald sie den schnurrbärtigen Bauern sah, der mit hochroten Wangen und in die Hüften gestemmten Fäusten Achim anpöbelte, sprang sie auf, um zu vermitteln. Achim war zwar ein netter Typ, aber sein hin und wieder aufflammender Jähzorn hatte ihn schon mehrfach in Schlägereien schlittern lassen. Und das war so ziemlich das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnten.
Achim, der mit dem Rücken zu ihr stand, hatte sie nicht kommen sehen und war dementsprechend überrumpelt, als Ingrid ihn an den Oberarmen packte und einfach beiseitedrückte. Ohne auf seinen Protest zu achten, streckte Ingrid dem Landmann mit einem freundlichen Lächeln die Hand entgegen. Der Mann war nicht minder verdutzt als Achim, doch dann ergriff er Ingrids Hand und schüttelte sie mit freudiger Miene. Er war wie verwandelt, wollte sie gar nicht mehr loslassen, und plötzlich wurde Ingrid sich ihres Aufzugs bewusst: knappes Höschen und ein T-Shirt. Kein BH . Die Augen des Bauern hatten sich natürlich schon an ihren Titten festgesaugt.
»Was’n hier los?«
Babsi kletterte aus der Beifahrertür. Sie sah bezaubernd aus: Zerwühltes dunkelbraunes Haar umrahmte ihr feines Gesicht, der Mund leuchtete natürlich rot, und aus den großen, schlaftrunkenen Augen strahlte eine Unschuld, die eigentlich Kindern vorbehalten war. Der Bauer hatte sie ebenfalls bemerkt und starrte sie an wie eine Erscheinung – eine sehr leicht bekleidete Erscheinung. Mit einem Ruck befreite Ingrid ihre Hand aus dem Griff des Mannes und eilte zu Babsi. »Los, rein mit dir und zieh dir was über«, befahl sie barsch und schlug die Tür hinter ihr zu. Achim lehnte, keuchend vor Lachen, am Bus.
»Was für ein Auftritt«, prustete er. »Aber du musstest ja unbedingt das Kommando übernehmen.«
Ingrid funkelte ihn böse an. »Krieg dich wieder ein. Ich hole jetzt meine Sachen, und wenn ich wieder hier bin, sitzt du gefälligst schon am Steuer und hast den Wagen angelassen. Wenn der Typ aus seiner Starre erwacht, könnte er auf die Idee kommen, die Polizei zu holen. Oder, schlimmer, seine Kumpel. Ich will dann jedenfalls weit weg von diesem Ort sein.«
Nach dem überstürzten Aufbruch lag die Stimmung in der Fahrerkabine in der Nähe des Gefrierpunkts. Mit voller Absicht ließ Achim den Bus durch die Schlaglöcher knallen, bis es von hinten Proteste hagelte. Auch Ingrid auf dem Beifahrersitz wurde wütend.
»Wenn du so weitermachst, ist die Karre kaputt, bevor wir die Grenze erreichen.«
»Na und? Ist doch mein Bus.«
Ingrid zählte rückwärts von zehn bis eins, bevor sie antwortete. »Ich würde aber gern in Indien ankommen«, sagte sie bemüht ruhig. »Ich dachte, das sei auch dein Ziel?«
»Hmm.«
»Hmm? Das ist keine Antwort. Was willst du eigentlich?«
Er wandte ihr den Kopf zu und grinste sie an. »Mir doch egal, wo wir hinfahren. Hauptsache, es gibt Marihuana und Mädchen.«
»Dann hättest du auch im Foelkenorth bleiben können.«
»Zu langweilig.«
Ingrid betrachtete ihn kopfschüttelnd. Obwohl sie Achim seit beinahe anderthalb Jahren kannte und hin und wieder das Bett mit ihm teilte, wurde sie aus ihm nicht schlau. Äußerlich hatte er alle Attribute eines Hippies: lange Haare, Vollbart, verwaschene Schlaghosen, buntes Hemd, und trotzdem empfand Ingrid ihn immer wieder als Fremdkörper in ihrer Gemeinschaft. Dieses Gefühl hatte sich zum ersten Mal in ihr geregt, als sämtliche Bewohner des Foelkenorths, von denen nur wenige ein echtes politisches Interesse hatten, gemeinsam um ein Lagerfeuer im Garten gesessen und über die Möglichkeiten eines alternativen Lebens gestritten hatten. Die hanfbefeuerte Debatte war ebenso wirr wie hitzig gewesen, die ganze Palette von Mao bis Timothy
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