Im Tal des Schneeleoparden
beobachtete, wie die mäusekleinen Esel von ihren Führern in den Hof einer Karawanserei getrieben wurden, dachte er über die neue Straße nach. Es schien ein undurchführbares Unterfangen, einen für Motorfahrzeuge tauglichen Weg bis hinauf nach Kagbeni und weiter nach Muktinath zu bauen, entlang lotrechter Felsen und trügerischer Erdrutsche, über das im Sommer bis zum Rand von gurgelndem Schmelzwasser gefüllte Flussbett und tiefe Schluchten. Und doch hatte er vor einigen Monaten mit eigenen Augen gesehen, wie sich die gelben Bagger drei Tagesmärsche entfernt am unteren Lauf des Kali Gandaki einen Weg fraßen. Schon besaßen die ersten Dörfer eine tägliche Busverbindung nach Pokhara, und mit den Bussen und Lastwagen kamen teure Lebensmittel und billige Kleidung, bunter Tand, der die Traditionen gefährdete und Unruhe brachte. Und Müll. Er war erschrocken gewesen über die einstmals so sauberen Dörfer, die nun unter einer breiigen Schicht von Abfall erstickten. Es würde ihn Kraft kosten, den unnützen Kram von seinem Dorf fernzuhalten.
Mit gerunzelter Stirn wühlte der Pangje eine zerkratzte, mit Pflastern geflickte Sonnenbrille aus seiner Tasche hervor und setzte sie auf. Seit er sie vor langer Zeit einem Touristen abgeschwatzt hatte, nutzte er sie, um seine eisgrünen Augen zu verbergen, die den Menschen so viel Angst einjagten. Dann erhob er sich und schlug den steil abfallenden Pfad nach Kagbeni ein. Vielleicht, dachte er, vielleicht ist die Straße doch nicht so schlecht. In Kagbeni hatte eine Familie eine Waschmaschine angeschafft, und mit Sicherheit würden die Frauen seines Dorfes ihm für eine derartige Maschine um den Hals fallen. Andererseits brauchte man dazu Strom, viel Strom, und ihre winzige, durch einen schmalen Flusslauf gespeiste Turbine reichte gerade für die vier Dutzend Glühbirnen des Dorfes. Grinsend kratzte der Pangje einen trockenen Lehmfleck von seinem Mantelärmel. Dann wuschen sie ihre Kleidung eben wie eh und je nur alle paar Monate. In Wahrheit kümmerte es ohnehin nur die jungen Mädchen und Burschen, wie sie aussahen.
Im Flussbett angekommen, schleuderte ihm der kalte Wind ungehindert grobkörnigen Sand ins Gesicht. Verbissen kämpfte er sich vorwärts, überquerte auf einer Brücke den Hauptlauf des Flusses, der auch im Winter noch reißend genug war, einen erwachsenen Mann zu ersäufen, und erkletterte die Böschung auf der gegenüberliegenden Seite Kagbenis, bis er auf einen wenig genutzten Sommerpfad stieß. Tief in seinen Mantel vergraben, eilte er nach Norden. Der Weg verlangte ihm keine Wachsamkeit ab, und so konnte er seine Gedanken wandern lassen, während er Stunde um Stunde seinem Ziel entgegenmarschierte.
Tara. Das Mädchen und ihre Erzählung gingen ihm nicht aus dem Kopf. Halblaut murmelte der Pangje die Namen, immer wieder, Tara und Dipendu, Tara und Dipendu, Stern und Mond. Dipendu lebte also, und nicht nur das. Er hatte Kinder gezeugt, Söhne und Töchter, die weitaus mutiger geraten waren als er selbst. Vor einigen Tagen, als der Pangje die Gorkha-Provinz durchquert hatte, war er versucht gewesen, Raato Danda einen Besuch abzustatten. In all den Jahren war er nie in dem Dorf gewesen, obwohl er wusste, dass Dipendu von dort stammte, hatte im Gegenteil die Region gemieden, soweit es möglich war. Zu viel Blut klebte an den Steinen längs mancher Pfade, auch wenn er nun feststellen musste, dass Dipendus Blut nicht dabei war. Längst hätte er Erkundigungen einziehen müssen, aber was wäre sein Wissen tatsächlich wert gewesen? Der Feigling Dipendu lebte sein Leben ebenso im Verborgenen wie er selbst, und wahrscheinlich war es besser, die Geister der Vergangenheit nicht aufzuscheuchen.
Unvermittelt hielt er an, drehte sich um und schüttelte die geballten Fäuste in Richtung Südosten. Nichts war gut, nichts! Normalerweise wusste sich der Pangje zu kontrollieren, doch wenn er nicht auf der Hut war, sprang die Wut ihn an, und nun schrie er sie gegen den tobenden Wind, die toten Felswände hinaus. Die Geister hatten einen leichten Schlaf, immer wieder raubten sie ihm den Frieden, trieben ihn fort auf der Suche nach Rache. Wie hatte das tapfere Sternenmädchen seinen Feind genannt? Den Bhoot? Nie war ein Name treffender gewesen – und nie der Augenblick günstiger. In den Wirren des Bürgerkriegs würde es auf einen Toten mehr oder weniger nicht ankommen. Er und seine Freunde würden den Feind aus seiner gutgeschützten Deckung locken, würden ihn
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