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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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sah, dem sie sich für die folgende Nacht und bis weit in den nächsten Tag hinein anvertrauen würde, war sie sich dessen allerdings nicht so sicher. Zerbeult, verschrammt und irgendwie schief, machte das Vehikel einen wenig vertrauenswürdigen Eindruck. Immerhin wünschten liebevoll aufs Heck gemalte Lettern »Namaste« und »Good Luck«. Sie würden es brauchen, dachte Anna, als sie die bis aufs Profil heruntergefahrenen Reifen inspizierte.
    Ein Junge von vielleicht vierzehn Jahren sprang auf sie zu und griff nach ihrem Busticket. Offensichtlich zufrieden mit dem, was er entziffert hatte, wies er immer wieder erst auf Annas Rucksack und dann auf das Busdach, bis sie endlich kapierte. Sofort erkletterte der Junge das Dach und ließ sich den Rucksack reichen. Anna beobachtete misstrauisch, wie er ihn festzurrte, stieg dann aber doch ein. Sie hatte in Kalkuttas Bahnhofshalle ihre Lektion gelernt. Das Gepäck war dort oben so sicher aufgehoben wie ein Affenbaby in den Armen seiner Mutter. Anna wählte die Bank direkt hinter dem Fahrer und harrte der Menschen und Dinge, die da noch kommen mochten.
    Es kamen viele. Taschen, Körbe, Apfelkisten, Männer, Frauen, eine Kabeltrommel, Großmütter, Kinder, Feuerholz, Getreidesäcke und zwei Ersatzreifen, leider zu klein für den Bus. Als Anna dachte, nun wäre wirklich Schluss, wurde noch eine Ziegenherde zugeladen, und zu guter Letzt enterte auch der König des Busses seinen ramponierten Thron und drückte auf die Hupe: Abfahrt! Anna wunderte sich, dass er vor lauter Troddeln, Aufklebern und sonstigem Nippes, der den Fahrersitz, die Windschutzscheibe und selbst den Ganghebel schmückte, überhaupt noch Platz fand, geschweige denn etwas sehen konnte, aber es schien ihm nichts auszumachen. Wahrscheinlich verließ er sich völlig auf die das Armaturenbrett verzierenden Plastikgötter.
    Der Platz neben Anna war bis zum Schluss frei geblieben – zu schüchtern waren die anderen Fahrgäste, wenn Anna auch bemerkte, dass sie heimlich beobachtet und dass flüsternd über sie gesprochen wurde. Es machte ihr nichts mehr aus. Sie gewöhnte sich allmählich daran, als Fremde im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Als der Bus schon rollte, schwang sich doch noch jemand durch die Tür und ließ sich neben Anna nieder. Freundlich lachte der ältere Herr sie an. Anna lächelte zurück. Mangels Konversationsmöglichkeiten schloss er bald die Augen und schlief ein, bevor sie noch die Grenzstadt Karkabitta hinter sich gelassen hatten.
    Anna beneidete ihren Sitznachbarn um sein Gott- oder, konkreter, Göttervertrauen. Der unbequeme Sitz in Verbindung mit dem Fahrstil des breitschultrigen Mannes vor ihr machte es ihr unmöglich, sich ins Reich der Träume zu empfehlen. Obwohl sich die Straße seit Stunden schnurgerade vor ihnen erstreckte, ruckelte und buckelte der Bus wie ein übellauniges Rindvieh und steigerte seinen Tanz bei jedem der lebensgefährlichen Überholmanöver zur Raserei. Immer wieder erfassten die Scheinwerfer die im Straßengraben verrottenden Kadaver von Büffeln, Lastwagen und Bussen, die Beine respektive Reifen, falls noch vorhanden, pathetisch gen Himmel gereckt. Langsam erfasste Anna die Tragweite von Ingrids Worten: Es sind nicht die Rebellen, es sind die Straßen, die dich umbringen. Anna verbot sich, darüber zu spekulieren, wie sich der Fahrer wohl gebärdete, wenn sie erst das nepalesische Tiefland verlassen und in die Berge klettern würden.

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32
    November 2003
    A uf den Tag genau vierunddreißig Jahre nachdem Bärbel und ihre Freunde Kathmandu erreicht hatten, ratterte auch Annas Bus auf die Passkuppe zu. Wie schon ihre Mutter zuvor konnte Anna es kaum erwarten, das Ziel zu erreichen, wobei der Wunsch, diese rollende Katastrophe verlassen zu dürfen, ihre Neugierde auf die exotische Stadt auf Platz zwei verwies.
    Der Bus bewältigte die letzte Steigung und kam dann zum Stehen. Leider verbarg sich das Tal noch hinter einem Vorsprung, so dass Annas Geduld weiter strapaziert wurde. Der Busfahrergehilfe öffnete die notdürftig mit einem Band verschlossene Tür, und zwei Soldaten stiegen ein, Gewehre im Anschlag. Passkontrolle. Wo vorher aufgeregtes Geplapper das Businnere erfüllt hatte, herrschte plötzlich verschreckte Stille, in der man die Ziegen furzen hörte. Mit fliegenden Fingern nestelte Anna ihren Pass aus dem Bauchgurt, ebenfalls eine Leihgabe von Kim. Die Soldaten schenkten ihr kaum Beachtung, befahlen aber drei jüngeren Männern und einer

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