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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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vernichten und nach all den Jahren ihre Genugtuung bekommen. Zu lange hatten sie sich damit begnügen müssen, den Helfershelfern seines alten Widersachers das Leben schwerzumachen, doch nun würde der andere am eigenen Leibe spüren, was er ihnen angetan hatte. Die Zeit war reif.

[home]
31
    O bwohl sich Anna bisher gut gehalten hatte, sank ihr doch das Herz in die Hose, als sie gemeinsam mit Ingrid auf das Haus der indischen Grenzbeamten zuging, das von Soldaten mit Maschinenpistolen bewacht wurde. Das Büro des Grenzbeamten erinnerte sie an eine Miniaturausgabe der Ankunftshalle in Kalkuttas Flughafen. Über den sich in den Raum neigenden Aktenschränken und dem unter Papierstapeln knarrenden Schreibtisch ächzte ein flügellahmer Ventilator ohne nennenswerten Erfolg. Die Luft war dick wie Linseneintopf mit Zwiebeln und roch auch so. Endlich bequemte sich der allgewaltige Arm der indischen Bürokratie, Annas Pass zu stempeln, und ließ ihn durch eine Schneise in seinem Formulargebirge direkt in Annas Schoß schlittern. Zwanzig Sekunden später stand sie wieder im Freien und atmete tief durch. Die erste Hürde war genommen.
    »Was hältst du von einem Frooti aus dem Laden dort drüben?«, fragte Ingrid. »Eine Erfrischung würde guttun.«
    »Habe ich denn noch genügend Zeit? Ich muss doch auf der nepalesischen Seite den Nachtbus erwischen.«
    »Kein Problem. Erstens fahren mehrere Busse, und zweitens erst dann, wenn sie voll sind. Was die Definition von voll anbelangt: Du hast ja gerade auf dem Weg hierher gelernt, wie viele Menschen man in einen Bus quetschen kann.«
    »Das stimmt.« Anna lachte. »Und weißt du, was das Verrückteste ist? Mir hat die Fahrt Spaß gemacht. Die Leute waren so freundlich.«
    »Ja, ja, die Inder«, sagte Ingrid gedehnt. »Sie können einem grässlich auf die Nerven fallen, und dann wieder sind sie einfach bezaubernd. Ausnahmen bestätigen die Regel.«
    »Vielleicht hätte ich doch bleiben sollen?«
    »Dazu ist es zu spät. Dein Indienvisum ist ungültig gestempelt.« Ingrid drückte Anna auf einen Hocker im Schatten einer ausgeblichenen Plastikplane und verschwand im Inneren des Ladens. Nach einer Weile kam sie wieder heraus, vollbeladen mit Saftpackungen, Keksen, Bananen und einer Flasche Mineralwasser. Nachdem sie das Siegel der Wasserflasche untersucht und für intakt befunden hatte, setzte sie sich auf einen zweiten Hocker und steckte jeweils einen Strohhalm in die Frooti-Tetrapaks. Sie nahm einen tiefen Zug des Mangosaftes, dann beugte sie sich zu Anna. »Du machst dir Sorgen wegen des Bürgerkriegs, und das ist auch richtig so. Hör auf dein Bauchgefühl, dann wird dir nichts passieren. Selbst das Auswärtige Amt in Deutschland rät nicht rundheraus von Reisen nach Nepal ab.«
    Anna nickte. Obwohl sich Ingrid anfangs vehement gegen die Reise ausgesprochen hatte, war sie trotzdem nicht untätig geblieben und hatte nicht nur das Internet nach verlässlichen Informationen durchsucht, sondern auch nepalesische Freunde in Darjeeling befragt und einen Bekannten in Kathmandu angerufen. Die Nachrichten lauteten überall gleich: Zwar befand sich das Volk in Aufruhr, und es gab auch Tote, doch gehörte es zu den erklärten Zielen der Rebellen, keine Ausländer zu Schaden kommen zu lassen. Im Gegenteil: Man bat sie ins Land, damit sie sich vor Ort ein Bild von der Situation machen konnten. Das Auswärtige Amt warnte lediglich vor Reisen nach Westnepal, eine Region, in die Anna ohnehin nicht fahren würde, sowie wegen der Bombengefahr vor Menschenaufläufen in den Städten. Ansonsten musste sie mit verschärften Straßenkontrollen, Streiks und Ausgangssperren rechnen, was zwar Unannehmlichkeiten zur Folge habe, aber, wenn sie sich an die Regeln hielt, nicht lebensbedrohlich war. Nach Kims Aufbruch nach Kalkutta hatte Anna stündlich in ihrem Entschluss geschwankt, bis Ingrid ein Machtwort sprach: »Mach es. Tu es um deiner selbst willen, begib dich auf die Spuren deiner Eltern. So wie’s aussieht, geht nicht von den Menschen in Nepal die wahre Gefahr aus, sondern von den grässlichen Straßen, und die wären auch in Friedenszeiten keinen Deut besser. Im Übrigen habe ich gelesen, dass der Tourismus, eigentlich die tragende Säule der nepalesischen Wirtschaft, um neunzig Prozent zurückgegangen ist. Wenn du jetzt dort hinfährst, werden sie dich behandeln wie eine Königin.« Das letzte Argument hatte den Ausschlag gegeben. In Kalkutta hatte Anna beschlossen, ihr vollständiges

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