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Im Tal des Schneeleoparden

Im Tal des Schneeleoparden

Titel: Im Tal des Schneeleoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffanie Burow
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verrenkte sich fast den Hals, um die Verbindung zu der anderen Frau nicht abreißen zu lassen, und auch diese schien von ihr gebannt. Als Letztes, bevor sich das seltsame Paar im Gewühl verlor, sah Anna noch, wie der dunkle Mann die Frau behutsam am Arm fasste, um sie aus ihrer Starre zu rütteln. Dann betraten sie die Straße und waren fort, verschluckt von der durcheinanderhastenden Menge.
    Anna lehnte sich zurück, erschüttert von der zufälligen Begegnung. Die Traurigkeit in den Augen der Nepalesin hatte sie ins Herz getroffen, und gleichzeitig hatte sie eine ungeheure Wut darin wahrgenommen. Anna ahnte, dass diese Frau sich niemals mit ihrem Schicksal abfinden würde, und empfand ihre eigenen Probleme plötzlich als nichtig. Sie bezweifelte, jemals eine so starke Wut gespürt zu haben wie jene, die in den Augen der jungen Frau Funken geschlagen hatte.
     
    Eine Stunde später saß sie auf dem Beifahrersitz eines Taxis und staunte über die engen, menschenverstopften Straßen, durch die der Fahrer sie mit Verve steuerte. Zwei Minuten nach der Abfahrt vom Busbahnhof hatte Anna bereits die Orientierung verloren. Ergeben ließ sie den Stadtplan, den Ingrid ihr in der großen Buchhandlung am Chowrasta in Darjeeling gekauft hatte, auf die Knie sinken und vertraute sich dem Taxifahrer an. Vertrauen schien überhaupt das Zauberwort zu sein. Kim hatte es ihr gepredigt, und auch Ingrid hatte gesagt, sie könne sich getrost auf die Hilfsbereitschaft der Einheimischen verlassen. Beide waren davon überzeugt, dass es in Indien und Nepal prozentual weitaus weniger schwarze Schafe gab als in Deutschland. Und wenn man sie wirklich mal um ein paar Rupien betrog – wo lag das Problem? Anna hatte sich vorgenommen, diese Haltung zu verinnerlichen. Sie würde das Leben leichter machen. Nach kurzer Fahrt bog ihr Chauffeur in eine schmale Sackgasse ein und hielt vor dem unscheinbaren Eingang des letzten Gebäudes.
    »Annapurna Lodge«, sagte er mit freundlichem Lächeln, stieg aus und hob Annas Rucksack aus dem Kofferraum. Sie bedankte sich und zahlte. Der verlangte Betrag erschien ihr lächerlich gering, und sie gab ihm noch einmal dieselbe Summe als Trinkgeld, woraufhin er eine Visitenkarte zückte und sie ihr mit einer leichten Verbeugung beidhändig präsentierte.
    »My name Rishi. You need taxi you telephone me.«
    Anna nickte. Nichts sprach dagegen.
    Als der Fahrer verschwunden war, drehte sie sich um und wurde von einem einnehmenden Lächeln begrüßt. Es gehörte zu einem Mann ihres Alters, der sogar noch eine Daumenbreite kleiner war als sie. Er hatte sich den Rucksack geschnappt und stellte sich als Ramesh vor, guter Geist der Annapurna Lodge. Er gehe doch recht in der Annahme, sie wolle hier einchecken?
    Anna nickte glücklich. Sie hatte die Inder gemocht, aber die Nepalesen schlugen alles, was sie bisher an Freundlichkeit erfahren hatte. Zufrieden folgte sie Ramesh ins Hotel. In exakt das Hotel, in dem auch schon Bärbel und Sylvain gewohnt hatten.
    Alles war beengt. Die Rezeption, das Treppenhaus, die Toilettenkabinen und Duschräume, der mit dunkelgrün gestrichenen Tischen und Bänken möblierte Innenhof, ihr Zimmer. Anna war begeistert. Dies war ein Haus für Menschen ihrer Größe. Das Zimmer lag im zweiten Stock und hatte den Charme einer Puppenstube, obwohl es außer dem Bett, einem Nachtschränkchen mit Schubladen, einem wackeligen Tisch und einigen Wandhaken kein Mobiliar gab. Dunkelbraune Auslegeware bedeckte den Fußboden, helle Gardinen schützten sie vor neugierigen Blicken von der offenen Galerie, die statt eines innen liegenden Flures die Zimmer miteinander verband. Die Wände waren so dick wie ihr Arm lang, und es bereitete ihr keine Mühe, die Zimmerdecke mit den Handflächen zu erreichen. Sie hatte Rameshs Erklärungen entnommen, dass das Haus nach traditioneller Bauweise errichtet war und die dicken Wände und die niedrige Decke sowohl in heißen als auch in kalten Nächten für erträgliche Temperaturen sorgten. Natürlich gab es keine Heizung.
    Anna packte ihren Rucksack aus und dankte Kim im Stillen dafür, dass er ihre Sachen sortiert hatte. Sie hätte ihren ganzen Krempel nie und nimmer in diesem Zimmerchen untergebracht, auch so musste sie das meiste auf der freien Seite ihres Doppelbetts stapeln. Sobald sie fertig war, zog sie sich aus, wickelte sich in ein Handtuch und ging zur Gemeinschaftsdusche. Sie war kalt. Anna hätte singen mögen, als sie sich in Windeseile abseifte und abspülte.

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