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Im Tal des Vajont

Im Tal des Vajont

Titel: Im Tal des Vajont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mauro Corona
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begannen mit der Käseproduktion. Am Anfang gab es noch viel Misstrauen, keiner wollte mit seiner Milch zu uns kommen, und so kochten wir zunächst nur unsere eigene Milch. Aber dann kamen sie langsam, einer nach dem anderen, und brachten ihre Milch zu uns in die Käserei. Die stumme Veronica kam als Erste, stumm, nicht etwa weil sie nicht sprechen konnte, sondern weil sie einfach immer schwieg. Ich bin das Käsemachen leid, sagte sie, macht ihr das für mich, und stellte uns zwei Eimer Milch von ihren drei Kühen hin. Von da an brachten fast alle ihre Milch zu uns, weil sie mit der Zeit merkten, dass eine Mischmilch von Kühen und Ziegen einen besseren Käse ergibt, vor allem weil dann bei der Reifung nichts schiefgeht. Die Verwendung von nur einer einzigen Milchsorte dagegen kann den Käse verderben. Einmal nur wurde uns eine Käsemasse schlecht. In zwölf Formen gärte der Käse zu Kissengröße auf, und als wir einen anschnitten, war er voll mit weißen Würmern. Es passierte schon manchmal, dass sich Würmer im Käse bildeten, aber dann höchstens in einer Form, nicht gleich in zwölf. Raggio sagte, die Hexe aus Baùgo hätte den Käse verhext, weil wir ihr kein Butterschmalz gegeben hatten. Sie war zu uns in die Käserei gekommen und hatte nach ein wenig Butterschmalz gefragt, aber wir sagten ihr, wir hätten im Moment nur ein ganzes Kilo, das schon für den Priester zurückgelegt sei. Das war natürlich ein Schmarrn, wir hatten Butterschmalz, so viel sie wollte, aber wir konnten sie nicht ertragen, deshalb erzählten wir ihr ein Lügenmärchen. Im Weggehen markierte sie noch mit ihren krummen, mit Höckern übersäten Fingern, die aussahen wie eine Hagebuchenwurzel, den Käsekessel, und im Nu waren zwölf Käselaibe in einen Haufen von Lebendwürmern verwandelt. Und auch das Butterschmalz wurde grasgrün mit einem ganz fremdartigen Übelgeruch. Darauf sagte ich zu Raggio, wir müssten hier Abhilfe schaffen, und so brachten wir der Alten zwei Kilo Butterschmalz und eine stachelige Distelblüte als Bittzeichen um Vergebung. Sie nahm sie an, und in den Tagen darauf ging die Käsegerinnung wieder normal vor sich, und das Butterschmalz wurde nicht mehr grün.
    Die Distelblüte dient genau diesem Zweck: Man will damit Vergebung erreichen. Wer nicht den Mut dazu hat, laut um Vergebung zu bitten, pflückt eine Distel und übergibt sie dem, der verletzt wurde. Wenn der sie dann annimmt und zu sich ins Haus nimmt, ist alles in Ordnung, wirft er sie aber auf den Boden und tritt drauf, dann will er nicht vergeben. Die stachlige Kardendistel wächst mehr als einen Meter hoch und hat einen flaumweichen Blütenkopf mit einem himmelblauen Blütenbüschel. Man pflückt sie im Sommer und trocknet sie mit dem Kopf nach unten, so halten sie sich über Jahre. Und man bewahrt immer ein Bündel davon im Haus auf, damit man für jedes Ansuchen um Vergebung gerüstet ist. Auch im Winter, wenn sie nicht mehr auf den Wiesen zu finden sind; es wäre ein Fehler, sie nicht auch dann bereit zu haben.
    Die Alte hätte sie fast auf den Boden geworfen, doch dann schaute sie uns kurz an und verschwand mit der Distel in der Hand im Haus. Ich sagte zu Raggio, dass wir uns mit ihr keinen Scherz mehr erlauben dürften, denn schon einmal hatte sie ihre Hexerei mit der Hirtin Jole dal Bus getrieben, als diese der Hirtin Velfa, die gerade niedergekommen war, nicht einen Liter Milch geben wollte. So konnte Jole zehn Tage lang keinen anständigen Käse machen. Je mehr Lab sie dazugab, umso weniger verdickte er. Da begriff Jole, was los war, und brachte Velfa, nebst einer Distel, noch einen ganzen Eimer Milch, und sofort ließ sich wieder gut Käse machen.

Einmal erzählte mir Raggio beim Käsemachen eine Geschichte zum Thema Würmer. So war vor langer Zeit wegen des Käses einer aus Montereale auf einem Stoß Lärchenzweige verbrannt worden. Er hieß Scandella Domenico, genannt Menocchio, das heißt Domenico Piccolo. Dieser Menocchio erzählte überall herum, dass er wisse, wie das Leben und auch die Menschen auf die Erde gekommen seien. Der Mensch sei ursprünglich, wie die Würmer, aus dem Käse gekommen, sagte Scandella. So sei das Leben und so auch der Mensch auf der Erde entstanden, nämlich aus dem Käse, der die Würmer erzeugt. Doch im selben Maße, wie immer mehr Leute ihm Glauben schenkten, begannen auch die Kirchenoberhäupter sich Sorgen zu machen. Da dachten sie, sie täten gut daran, Menocchio auf den Scheiterhaufen zu bringen und ihn

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