Im Tal des Vajont
musste ihr Mann für eine Woche nach Tarvisio fahren, um zwei Kühe aus Österreich abzuholen. Es waren besondere Kühe, die zweimal täglich fast zwanzig Liter Milch gaben. Der Padrone hatte zwar seine eigenen Milchkühe, aber er hatte die fixe Idee, er müsse auch welche der besonderen Art besitzen, die mehr Milch als alle anderen gaben, um so den Neid der anderen Bauern zu erregen. Er fragte mich, ob ich nicht mit ihm in den Zug steigen wolle, der nach Udine fuhr und von dort weiter nach Tarvisio, und ihm Gesellschaft leisten und dabei helfen, die Kühe heimzuführen. Ich war fast versucht mitzufahren, denn eine Reise bis nach Tarvisio hätte mir schon gefallen. Von diesem Ort hatte schon Santo della Val oft gesprochen, der immer wieder nach Österreich ging, um dort als Holzfäller zu arbeiten, und mir dann Geschichten von Trinkgelagen in Tarvisio erzählte, denn bevor er über die Grenze ging, blieb er immer erst für eine Woche in Tarvisio, um sich mit seinen Freunden zu betrinken.
Wir waren gerade alle zur Abendmahlzeit rund um den großen Tisch versammelt, als der Padrone mich fragte, ob ich mit nach Tarvisio käme. Und ich wollte ihm schon Ja sagen, als ich merkte, dass sie in meine Richtung schaute und mir mit einem unmissverständlichen Blick bedeutete, Nein zu sagen. Ich konnte sie verstehen, warum sie nicht wollte, dass ich ging. Also sagte ich Nein zum Padrone, ich würde lieber hier bleiben und arbeiten oder auch mit meinem Karren losziehen, um ein paar Holzsachen zu verkaufen und neue Orte kennenzulernen. Und er kam schließlich mit einem seiner Brüder überein, ihm dabei zu helfen, die Kühe von Tarvisio mit dem Zug herunterzubringen.
Auf diese Weise verbrachte ich die sechs schönsten Tage meines Lebens, auch wenn sie ständig vom Gedanken daran durchsetzt waren, was ich dem armen Raggio angetan hatte und was ich mir selbst noch antun sollte.
In der ersten Nacht nach der Abfahrt ihres Mannes beschimpfte sie mich liebevoll, weil ich mit ihm nach Tarvisio hatte fahren wollen. Hätte sie mich am Tisch nicht schief angesehen, sagte sie, würde ich vielleicht ausgerechnet jetzt den Zug besteigen, wo wir doch gerade für einige Tage miteinander allein sein konnten. Ich sagte ihr nicht, dass ich vor allem deshalb mit ihrem Mann mitfahren wollte, um das Zusammensein mit ihr zu vermeiden, und nicht, weil ich Tarvisio sehen wollte. Denn mir war klar, dass sich nun alles so wiederholen würde, wie es damals in Erto war. Wieder wurde ich zum Verräter und war dabei, hinterrücks die Axt gegen den zu erheben, der mir nur half und gut gegen mich war.
Aber wenn erst solche schönen Kräfte im Spiel sind wie die, die zwei Menschen derart gegenseitig anziehen wie der Magnet den Nagel, dann ist nichts mehr zu machen, und man gibt nach, auch gegen seinen Willen.
Und so verbrachte ich sechs Nächte bei ihr, Nacht für Nacht. Tagsüber arbeiteten wir auf den Feldern und im Stall, nachts lagen wir eng umschlungen beieinander.
Ich half vor allem auch beim Käsemachen, aber jedes Mal, wenn ich den Käsebruch herauszog, kam sie mir wieder in den Sinn, sie und ihr vermaledeiter Käselaib, in welchen sie unser Kind hineingesteckt hatte. Dann verlor ich jede weitere Lust, den Käse herauszuziehen, und ertrug nicht einmal mehr den bloßen Anblick der Käsewerkzeuge.
In der Nacht erschien sie immer zur selben Stunde im Stall, ihr Gang war dabei so leise und leichtfüßig, dass man sie nicht einmal kommen hörte. Wir liebten uns auf sanfte und friedliche Weise, wobei sie sich einfach und gütig verhielt, nie gereizt oder nervös wie die Frau von Raggio.
Eines Nachts kam sie gegen zwei Uhr, es war Juni, und draußen auf dem Dach rief die Eule. Sie wollte mich gleich mit in ihr Zimmer nehmen, ins Bett, das sie mit ihrem Mann teilte. Aber ich gab ihr ein scharfes Nein zurück, dort an Ort und Stelle, auf dem Stroh, wollte ich bleiben. Es schien mir zu schändlich und auch feige, den Bettplatz ihres Mannes einzunehmen. Sie erwiderte, ich hätte schon längst den Platz ihres Mannes eingenommen, und die Sache mit dem Bett wäre falscher Respekt. Darauf gab ich ihr zurück, sie hätte ja vielleicht recht, vielleicht war es wirklich falscher Respekt, aber ich hätte meine persönliche Vorstellung von Respekt, und wenn ich mit der Frau eines Freundes ging, hieße das nicht gleich gezwungenermaßen, dass ich dann auch sein Haus bewohnen, seine Sachen benutzen, auf seiner Bank, seinem Stuhl sitzen und in seinem Bett schlafen
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