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Im Tal des wilden Eukalyptus

Im Tal des wilden Eukalyptus

Titel: Im Tal des wilden Eukalyptus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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die alte Schamanin regelmäßig zu ihr, erzählte ihr vom Träumen und von den Taten der Ahnen. Weihte sie ein in die Legenden und Mythen ihres Volkes, in die Geheimnisse ihres Clans. Lehrte sie die geheimen Gesänge und Rituale, von denen Männer ausgeschlossen blieben. Dazu kamen Dinge, die die Angelegenheiten des weiblichen Körpers und dessen Fruchtbarkeit betrafen – Menstruation, Schwangerschaft, Geburt.
    Zu Anfang hatte sie nur bestimmte Sachen nicht essen dürfen. Seit einigen Tagen fastete sie vollständig und trank nur Wasser.
    Von weit entfernt wehten Fetzen monotonen Gesangs und das Klacken aneinandergeschlagener Holzstöcke zu ihr hinüber. Ningali ließ die Arme sinken und lauschte. Sie erkannte die Tonabfolge – es war ein Ritual, um einen Kranken zu heilen.
    Die Zeit der Einsamkeit war fast vorüber. Bald durfte sie zurückkehren zu ihrer Familie, ihrem Clan. Ob Dan-Kin noch immer bei ihnen war? Sie freute sich darauf, ihn wiederzusehen.
    Dann lenkte sie ihre Gedanken wieder auf den Gesang aus der Zeit der Ahnen und des Träumens.
    Sie wurde zum Teil der Erde, auf dem sie saß. Zum Wirbelsturm, in dem alles zerstob, zum Nebel, der über die Felder kroch.
    Sie war der Tau, der Wind und der fallende Regen, war Teil der Felsen und der roten Erde. Sie war der Wind, der Regen und der tanzende Sturm. War Adler, Krähe und die gleitende Schlange.
    War die Stimme des Nachtwinds, der murmelnde Bach.
    Sie war dieses Land, und das Land war sie.

9.
    Moira ließ die Sense sinken und stützte sich erschöpft auf den Griff, Schweiß rann ihr am Körper entlang und tränkte den Stoff des leichten Kleides. Es war sinnlos. Die Menge an Weizen, die sie an diesem Vormittag geschnitten hatte, war lächerlich klein. Mittlerweile hatte sie Blasen an den Fingern, und ihr Rücken schmerzte. Sie würde dieses Feld in hundert Jahren nicht ernten können. Nicht alleine.
    Eigentlich war es ohnehin zu spät, inzwischen schrieb man Januar. Die Körner waren überreif und begannen, am Halm zu vertrocknen. Und wie sie das Getreide später dreschen sollte, wusste sie schon gar nicht. Wenn ihre Eltern sie jetzt sehen könnten. Allein, verzweifelt, abgearbeitet wie ein Ackergaul. Das war sicher nicht das Leben, das sie sich für ihre Tochter vorgestellt hatten.
    Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn, um den Schweiß abzuwischen. Später würde sie sich noch ihrem kleinen Gemüsegarten widmen, in dem bislang lediglich Zwiebeln und Karotten wuchsen. Außerdem musste sie dringend nach Parramatta, um neue Vorräte für sich und die Tiere einzukaufen. Sie wollte erneut nach der Sense greifen, als ein leises Geräusch sie innehalten ließ. War Captain Penrith etwa schon wieder da? Nein, das war wohl nur der Wind, der durch die Halme fuhr.
    Penrith. Noch heute schauderte es sie, wenn sie an seinen Besuch vor drei Tagen dachte. Sie wäre fast schwach gewor den, hatte für einen kurzen Moment tatsächlich überlegt, einen Pakt mit diesem Teufel einzugehen. Einzig und allein um Joey wiederzubekommen. Aber das hätte sie sich nie verziehen.
    Danach hatte sie kurz mit dem Gedanken gespielt, doch zu Elizabeth zu ziehen. Aber dann hatte sie es wieder verworfen. Sie konnte hier nicht weg, nicht noch weiter fort von Joey. Sie musste einfach darauf vertrauen, dass Penrith es nicht noch einmal versuchen würde.
    Hinter ihr raschelte es; jetzt sah sie, dass es der kleine rote Kater war, der mit hocherhobenem Schwanz durch die unregelmäßigen Stoppeln stakste. Dann erstarrte sein Körper mitten in der Bewegung, der Schwanz senkte sich – ein Sprung, und er hatte eine weitere kleine Maus erbeutet.
    Moira lächelte traurig. Wenigstens um ihn musste sie sic h keine Sorgen machen. Sie hatte den Kater Noel genannt, weil er an Weihnachten zu ihr gekommen war. In Neusüdwales gab es nur wenige Katzen. Siedler hatten ein paar Tiere aus Europa mitgebracht. Umso dankbarer war sie für ihren kleinen Gesellschafter. Er schlief in ihrem Bett, nah an sie gedrückt, schnurrte bei jeder ihrer Bewegungen und hielt sie tagsüber davon ab, allzu viel nachzugrübeln.
    Ein hohes, schrilles Wiehern ließ sie herumfahren. Das war Artemis, ihre Stute! Sie hatte das Tier zum Grasen unweit ihrer Hütte angebunden, aber jetzt bäumte es sich auf und trat mit den Vorderhufen nach einer der Gestalten, die es umringten.
    Diebe!

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