Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
ihn Liam in seinem ersten Kampf erbeutet hatte.
Major Nelson behandelte die Abgesandten kühl, aber respektvoll. Sie beriefen sich auf eine Urkunde, die ihnen ihr angestammtes Land zusicherte und jedem Siedler verbot, sich dort niederzulassen, es sei denn, er kaufte das Land. Das Schriftstück, das der Häuptling mit sich führte, ließ keinen Zweifel an der Richtigkeit ihrer Forderung. Die Siedler waren im Unrecht und mussten gehen. Und so oblag es Liam und seinen Männern diesmal, den Willen der Eingeborenen durchzusetzen.
Liam schnalzte leise, wendete sein Pferd und ritt zurück ans Ende des Zuges. Die Blicke der Farmer waren hasserfüllt. Ihm war klar, was sie dachten. Liam, als einer der Offiziere, war verantwortlich für ihre Misere.
Schweigend ritt er den kleinen Treck ab, kontrollierte, ob sich keine der vier Familien abgesetzt hatte, und preschte zurück an die Spitze der Gruppe.
Nur noch wenige Stunden, dann hätten sie es geschafft. Liam sehnte sich nach dem Luxus, bei Adam Bellinghouse ein langes Bad zu nehmen und im heißen Wasser die verspannten Muskeln zu lockern.
Und er freute sich darauf, Marina wiederzusehen. Sie erwartete ihn sicherlich schon sehnsüchtig. Er kam rechtzeitig zurück, um der jungen Frau ihren Wunsch zu erfüllen und im Ort ein Konzert mit ihr zu besuchen. Das Orchester, das derzeit durch die kleinen Kolonialstädte tourte, war nur noch für wenige Tage in New Plymouth.
In den vergangenen Wochen waren sie einander nähergekommen, und ihr war es durch ihre stille und beharrliche Art gelungen, nach und nach die Mauer, die er um sein Inneres aufgeschichtet hatte, einzureißen. Stein für Stein trug sie ab und erarbeitete sich seine Zuneigung mit kleinen Aufmerksamkeiten und einem scheuen, aber nicht weniger anziehenden Lächeln.
Eigentlich war Marina genau die Art Frau, wie Liam sie sich immer gewünscht hatte, bis zu dem Moment, als er Johanna Chester begegnet war.
Aber dieses Kapitel war beendet. Leiser Zorn erwachte in ihm, dass Johannas Geist ihn nicht endlich aus seinen Klauen ließ. Er wollte nicht für immer an sie gekettet sein.
Vielleicht war Marina der Schlüssel zu seiner Freiheit. Er wusste, wie sehr sie seinen Antrag ersehnte. Wenn er um ihre Hand anhielte, könnte er ein neues Kapitel beginnen. Sie würden mit den Jahren glücklicher werden.
Vor der Macht der Zeit hatten selbst die Mauern in ihm keinen Bestand.
Im Tal des Windes
E s war ein strahlender Frühlingstag, als Johanna schließlich aufbrach. Seit mehreren Tagen hatte es nicht mehr geregnet. Nun waren die Wege wieder passierbar, und Johanna sah ihrer Reise mit freudiger Erwartung entgegen.
Eine Woche zuvor hatte das Boot des Flusshändlers Terry am Ufer direkt vor Waters’ Fabrik Halt gemacht. Er kam aus Urupuia und brachte einen Gruß von Father Blake mit. Der Missionar hatte ihm davon erzählt, dass Johanna gute Wolle gegen Handelsgüter eintauschen wollte.
In Thomas’ Beisein handelte sie einen guten Preis aus und war nun stolze Besitzerin von zwei Kisten voller Axtblätter, Munition, Nähnadeln und anderen Waren, die die Maori in den Dörfern nicht selber herstellten. Die Grundlage für ihren ersten Tauschhandel war gelegt. Johanna war sehr stolz. Nun konnte sie ihren eigenen Handel aufbauen, und sie wusste schon jetzt, dass ihr das weit mehr lag als das Bauernleben und die Schafzucht.
Thomas hatte sich am Tag vor ihrem Aufbruch von seiner liebevollen Seite gezeigt, und sie hatte für Momente vergessen, dass ihr Mann ein Mörder war. Nachdem er ihr bei den Reisevorbereitungen geholfen hatte, redeten sie lange miteinander, und er teilte seine Sorgen mit ihr, wie es in einer guten Ehe üblich sein sollte.
Johanna verstand noch immer nicht, wie es dazu gekommen war, doch in dieser Nacht hatten sie nach Monaten wieder miteinander geschlafen, und es war schön gewesen. Noch immer, auch jetzt als sie an seiner Seite zum Wasser hinabritt, dachte sie daran, welche Zärtlichkeit sie miteinander geteilt hatten. Den anderen Thomas gab es immer noch, und er überstrahlte mit seiner freundlichen, liebevollen Art den dunklen Teil seines Charakters, den sie so fürchtete. Es fiel ihr viel leichter, die ehelichen Pflichten zu erfüllen, wenn er nicht zum Vorschein kam.
Johanna musterte den Mann neben sich. Wenn sie sich nicht irrte, so war auch er wie verzaubert. Sein ernstes Gesicht wirkte weniger hart, und um seinen Mund spielte ein Lächeln, das sie jederzeit mit einem Blick zum Leben erwecken
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