Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
Triumph, und sie empfand Genugtuung wegen des tödlichen Zwischenfalls im Wald.
Johanna mochte kaum ihren Platz am Fenster verlassen.
Es war der erste Sonntag im Sommer, der seinem Namen alle Ehre machte, und es gab noch einen Grund, weshalb sie diesen Tag mit besonderer Sehnsucht erwartet hatte.
Abigail würde zu Besuch kommen. Endlich, zum ersten Mal seit einem halben Jahr, in dem sie sich nur Briefe geschrieben hatten. Sie brachte ihren kleinen Sohn mit. Der Gedanke hatte einen bitteren Beigeschmack.
Sie selbst war nicht mehr schwanger geworden, seitdem sie ihr Kind verloren hatte. Dabei teilte sie regelmäßig das Bett mit Thomas und fand sogar ein wenig Gefallen daran.
Sie hatte alles versucht. War Hariatas Tipps gefolgt nach der Vereinigung lange liegen zu bleiben und die Hüfte hoch zu halten, hatte bittere Tees getrunken und zu Gott und der Heiligen Mutter Maria gebetet. Es war alles umsonst gewesen.
Hätte Thomas den Baum nicht gefällt, in dem der Gott des Waldes lebte, wäre sie sogar dorthin gegangen, um den Naturgeist um seine Gunst zu bitten.
Wahrscheinlich war es doch so, wie sie befürchtete. Christus war zu weit weg von Neuseeland, um sie zu erhören, und Thomas hatte die Geister des Landes so sehr erzürnt, dass sie ihn mit Kinderlosigkeit straften. Ihn und damit auch sie.
Johanna seufzte und blinzelte in die Sonne. Heute nicht, nahm sie sich vor, heute wollte sie sich die gute Laune nicht von finsteren Gedanken verderben lassen.
Sie wandte sich um. Thomas schlief noch, und fast bekam sie Lust, sich wieder zu ihm unter die warme Decke zu legen.
Sie hatten gelernt, miteinander zu leben, Thomas und sie. Das Haus, das er ihr gebaut hatte, war wunderschön, das Land atemberaubend. Doch sie sahen einander kaum, redeten nur wenig miteinander, aber sie stritten auch nicht mehr. Es war eine gute Ehe, wie man es erhoffen konnte, wenn sie nicht aus Liebe geschlossen worden war, und oft gelang es ihr, nicht darüber nachzudenken, dass er jemand umgebracht hatte.
Johanna zog sich ihren Morgenrock über und schlich aus dem Zimmer, durch den hellen Flur bis zu dem kleinen Raum in der Nordwestecke des Hauses, in dem sie sich ihr Arbeitszimmer eingerichtet hatte.
Wenn möglich, wollte sie noch einmal die Lieferung durchgehen, die mit dem nächsten Schiff nach London gehen sollte. Dann würde sie gemeinsam mit Thomas ein spätes Frühstück einnehmen, was zu einem sonntäglichen Ritual geworden war.
Die Tür zum Arbeitszimmer stand bereits offen. Warmer Geruch von frisch gebackenem Brot lag in der Luft.
» Heeni, du bist ein Schatz! « , flüsterte Johanna, als sie das Silbertablett auf einem kleinen Servierwagen entdeckte, der neben dem Schreibtisch stand.
Die junge Maori stand lächelnd daneben und strich scheu über ihre weiße Spitzenschürze, die sie nur sonntags anlegte.
Trotz ihrer Jugend– sie war gerade mal vierzehn Jahre alt– war sie eine wundervolle Hausangestellte. Johanna dankte Father Blake wieder einmal im Stillen, dass er sie hergeschickt hatte. Heeni war schon als Kind getauft worden und sechs Jahre lang in die Schule des Missionars gegangen. Sie hatte die junge Frau direkt nach ihrem Umzug in Dienst genommen. Hariata sorgte weiterhin für ihr leibliches Wohl, doch nach einer Fiebererkrankung im Winter war Hariata ihr Alter, sie war fast sechzig, anzumerken. Johanna schätzte die Freundin als Beraterin und Übersetzerin. Anstrengende Arbeiten konnten Jüngere übernehmen. Der Stallbursche Ben war mit in das größere Haus gezogen und verrichtete alles, was anfiel. Wenn die Schafschur bevorstand oder bei anderen Aufgaben weitere Arbeitskräfte benötigt wurden, heuerte Johanna für einige Tage Bewohner von Urupuia an. Sie weigerte sich leise, aber beharrlich, wenn Thomas ihr seine Männer anbot, und bislang hatte er nicht darauf bestanden, auch wenn er die Maori mit Abscheu betrachtete.
Johanna ließ sich in den Sessel hinter ihrem Schreibtisch sinken und wartete, bis Heeni ihr Tee eingegossen und einen Teller mit warmem Brot, Butter und Rührei zurechtgemacht hatte, dann zog sie eine Liste zu sich heran und sah sie durch.
Der Lärm der Dampfmaschinen drang weit über den See. Ein Karren rumpelte vorbei. Er war bis oben hin mit Kohlen beladen und verlangte den Zugpferden, die mit hängenden Köpfen in den Kummeten schwitzten, alles ab.
Thomas verzog missbilligend den Mund, als der Kutscher wieder die Peitsche schwang. Die Tiere zuckten nicht einmal mehr, als die Schnur ihren
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