Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
Die Worte endeten in einem Hustenanfall. Ihre Kehle war wund, die Lunge schmerzte vom eingeatmeten Rauch.
» Mrs Waters? « Eine zittrige Stimme.
Sie fuhr herum. Dort stand Hariata und stützte sich auf Ben.
Johanna sprang vom Pferd. » Du lebst? «
Sie umarmte die Maori, und dann kamen ihr die Tränen. Sie weinte und weinte und brachte kein Wort heraus. Nach und nach erfuhr sie, was sich in den letzten Stunden abgespielt hatte.
Kurz nachdem Johanna geflohen war, hatten sich Hariata und der Junge den heranstürmenden Kriegern ergeben. Heeni war zu dem Zeitpunkt schon tot. Sie hatten sie im Haupthaus erschlagen, weil sie die Haushaltshilfe in ihrer europäischen Kleidung zuerst für eine Pakeha gehalten hatten.
Die Krieger durchsuchten das Wohnhaus, und als sie niemanden mehr fanden, räumten sie die Speisekammer leer und feierten ihren Sieg.
» Jetzt sind sie losgezogen, um das Sägewerk anzustecken. Wir müssen uns beeilen, sie kommen sicher wieder, um zu plündern « , drängte Hariata und schob Johanna von sich.
» Wo ist Thomas, ich will ihn christlich begraben, bitte… «
» Begraben können Sie ihn, wenn er tot ist. Als ich zum letzten Mal nachgesehen habe, war noch Leben in ihm, wenngleich nicht mehr sehr viel. «
Johannas Herz tat einen Sprung.
» Er lebt? «
Hariata überquerte den Hof und blieb vor einem zusammengestürzten Stall stehen. Gemeinsam schoben sie einige lose Balken zur Seite, die ihn vor den Blicken der Krieger verborgen hatten, und da lag er wirklich. Thomas. Er hielt die Augen geschlossen und atmete flach. Mit einer Mischung aus Schock und Erleichterung ging Johanna neben ihm in die Knie und strich über seine Stirn. Die Haut war schweißfeucht und kalt. Er öffnete die Augen nicht.
Gemeinsam mit Hariata versorgte sie Thomas notdürftig und wurde dabei das Gefühl nicht los, dass die Maori ihn dort hätten liegen und sterben lassen, wenn sie nicht zurückgekommen wäre.
Nun rettete Hariata dem verhassten Mann womöglich das Leben, um ihretwillen.
Thomas war in den letzten Stunden nicht zu sich gekommen. Er fieberte. Hariata hatte mehrere Brüche entdeckt und versorgt, doch die größte Sorge machte ihr eine klaffende Wunde an seinem Kopf, die von einem Hoeroa, einem Prügel aus Pottwalknochen, verursacht worden war.
Nach kurzer Überlegung war schnell klar geworden, wohin sie ihre Flucht führen würde. Nach Urupuia, zu Father Blake. Wenngleich Hariata doch einige der Angreifer als Bewohner ebendieses Dorfes erkannt hatte, so war sie sich sicher, dass Johanna von den Eingeborenen wohlwollend empfangen werden würde.
Ben gelang es, ein weiteres Pferd einzufangen. Während er aus zwei Balken, Seilen und einem Bettlaken eine Vorrichtung herstellte, auf die sie Thomas betten konnten, bahnte Johanna sich einen Weg durch die Trümmer. Sie schob Aschehaufen und eine verbrannte Strebe zur Seite und kniete sich hin. Stars Kopf und Hals ragten unter einem massiven Balken hervor. Johanna versuchte, den Rest auszublenden und sich nur auf den vertrauten Kopf zu konzentrieren. So viele Jahre waren sie vereint gewesen. All die schönen Erinnerungen, die mit der lebhaften kleinen Stute verbunden waren. Liebevoll strich Johanna Rußflocken von der sternförmigen Blässe.
» Danke « , flüsterte sie. » Ich werde dich nie vergessen, meine Kleine. «
» Wir sind so weit, kommen Sie, Mrs Waters? « , rief Ben. Johanna strich ein letztes Mal über das weiche Fell, wischte sich die Augen und stand auf.
Sie hatten Thomas bereits auf die Trage gelegt. Zeit aufzubrechen.
Die Reise war beschwerlich. Sie mieden die Wege am Seeufer und die offenen Flächen, sogar Bachläufe überquerten sie erst, nachdem sie sich sorgfältig umgesehen hatten. Wenn sich die Krieger entschließen würden, sie zu verfolgen, gäbe es dennoch keine Chance zu entkommen. Zu deutlich grub die Trage zwei tiefe Furchen in den weichen Grund.
Thomas’ Fieber zwang sie dazu, häufig Rast zu machen. Als sie bei Einbruch der Dämmerung nicht einmal die Hälfte des Weges geschafft hatten, schickte Hariata Ben voraus, um Hilfe zu holen.
Die Nacht war furchtbar. Unter dichtem Gestrüpp verborgen kämpften sie um Thomas’ Leben. Das Fieber wurde heftiger, kam mit Schüttelfrost und Albträumen. Thomas schrie, rief Johannas Namen, immer wieder, ohne sie wahrzunehmen.
Ob er sie tot glaubte? Erschlagen von den Angreifern?
In dieser Nacht verstummten die Vorwürfe, die Johanna ihm machte, für eine Weile. Wie konnte sie ihm
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