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Im Tal des Windes: Roman (German Edition)

Im Tal des Windes: Roman (German Edition)

Titel: Im Tal des Windes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Maly
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silberdurchwirkte Weste schimmerte.
    Sein Lächeln war weniger das eines verliebten Mannes, sondern passte eher zu einem, der eine Wette gewonnen oder einen Preis erfochten hatte. Durch den Brautschleier konnte sie seine Augen nicht richtig erkennen. Glich sein Blick seinem Lächeln? Oder war er wärmer, sie hoffte es von ganzem Herzen.
    Anthony Chester legte Johannas Hand in die seines zukünftigen Schwiegersohns. Sein Lächeln wurde noch breiter. Sie hätte sie am liebsten weggezogen, doch Thomas’ Berührung war fest und warm. Sie machte die letzten Schritte zum Altar an seiner Seite.
    Die nächste Stunde verlief wie in einem Traum. Sie konnte nicht einmal sagen, ob es ein guter oder ein schlechter Traum war, er war nur unwirklich. Der Schwur, ihrem Ehemann treu und gehorsam zu dienen, kam ihr irgendwie über die Lippen und fühlte sich an, als drehe sie selbst den Schlüssel im Schloss zu ihrem Gefängnis um.
    Ihr schwindelte, während er den Ring über ihren Finger streifte. Als Thomas schließlich den Schleier hob, glomm endlich auch in ihr ein kleiner Funken Glück. Er liebte sie wirklich! Das Strahlen in Thomas’ Augen war wie Balsam für ihre wunde Seele.
    » Du bist bezaubernd schön, Johanna « , hauchte er und beugte sich vor. Auch sie beugte sich vor und hätte sich doch gewünscht, dass es Liams Lippen wären.
    Nun war sie eine verheiratete Frau. Johanna Lucia Waters.
    An Thomas’ Seite schritt sie aus der Kirche hinaus. Die Vorstellung, nicht mehr ihrer herrischen Mutter Folge leisten zu müssen, sondern einen eigenen Haushalt zu führen, glich einer Befreiung und war ihr einziger Trost bei diesem Arrangement.
    Draußen wurden sie von Freunden und Verwandten in Empfang genommen. Es war ein warmer, sonniger Herbsttag. Thomas’ Freunde jubelten dem stolzen Bräutigam zu und drohten ausgelassen, Johanna zu rauben und nicht wieder herzugeben.
    Ein duftender Blütenregen rieselte auf sie herab. Rosen, Schleierkraut und Mädesüß, fein wie Schneeflocken, setzte sich in ihr Haar.
    Thomas zog Johanna in seine Arme, und ehe sie sich versah, hob er sie hoch und wirbelte sie durch die Luft. Ihr entfuhr ein Schrei. Sie erwiderte seinen Kuss und versuchte angestrengt, die schwermütigen Gedanken beiseitezuschieben. Als sie wieder auf ihren Füßen stand und sich atemlos nach ihren Freundinnen umsah, entdeckte sie plötzlich ein vertrautes Gesicht. Am Rand der Zuschauermenge, halb von einem Alleebaum in festlichem Herbstrot verborgen, stand ein Mann in Uniform. Sein Gesicht war glatt rasiert, und er hielt seinen Arm in einer Schlinge, dennoch wusste sie sofort, wer sie dort heimlich beobachtete.
    Liam. Er sah aus, als hätte er eine lange Krankheit überstanden, hager war er und blass.
    Ihr Herz setzte für einen Moment aus, und es durchfuhr sie siedend heiß. Für einen winzigen Moment begegneten sich ihre Blicke, und es traf sie bis ins Mark, als sie seine Enttäuschung und seine Bitterkeit sah. Dann drehte er sich abrupt um und ging davon.
    » Kind, was ist denn? Du siehst aus, als seist du einem Gespenst begegnet « , erklang plötzlich die tadelnde Stimme ihrer Mutter. » Lächle! Heute ist der schönste Tag deines Lebens. « Johanna konnte nicht mehr. In diesem Moment war etwas in ihr zerbrochen. Sie wollte schreien, Liam hinterherlaufen und ihn zur Rede stellen, warum er sich nie wieder gemeldet hatte, doch sie war wie erstarrt, zwang sich, zu lächeln und betete, dass die Verwandten ihre Tränen für Freudentränen hielten.

    Liam fühlte sich wie ein Geist. Seit zwei Wochen lief er durch die Straßen, durch vertraute Viertel, und doch erschien ihm alles fremd und durchscheinend. Duncans Tod hatte ihm den Boden unter den Füßen weggezogen und Johannas Ehe mit Waters seinem Herz den Todesstoß versetzt. Er fühlte sich vollkommen leer. Nicht einmal trauern konnte er noch, stattdessen lief er getrieben von Rachegedanken durchs nasskalte London. Er musste Thomas Waters töten! Nur die Einlösung seines Eides konnte ihn aus diesem grauen Grenzland zwischen Leben und Tod befreien. Die Wunde in seiner Brust schmerzte bei jedem Schritt, doch er brauchte den Schmerz, der ihn wach hielt. Die Schusswunde war noch immer nicht ganz verheilt, und eigentlich hatte der Arzt ihm weiterhin Bettruhe verordnet. Stattdessen drückte er sich in einer schmalen Gasse zwischen zwei mehrstöckigen Backsteinbauten herum und beobachtete Waters Tuchfabrik. Aus den Schloten des tristen Baus quoll schwarzer Rauch. Er hörte die

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