Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
wich erschrocken zurück.
» Keine Sorge, Ma’am, das war kein richtiger Angriff « , beschwichtigte sie ein älterer Mitreisender und bedeutete Johanna, wieder neben ihn an die Reling zu treten.
Als sie sich wieder vorwagte, war das Boot längst auf hoher See. Was hätten diese Eingeborenen auch mit Fäusten und Steinen gegen ein riesiges Schiff ausrichten sollen.
Die Leute begannen zu klatschen, lachten und machten Scherze, doch Johanna war nicht nach Lachen zumute.
» Warum haben sie mit Steinen nach uns geworfen? «
» Die Zeiten ändern sich. Als ich als junger Mann herkam, haben sich die Häuptlinge noch um uns gestritten. Jeder wollte einen eigenen Pakeha, so nennen sie die Weißen, in ihrem Dorf haben, heute werden ihnen die Siedler zu viel. Es gibt derzeit Streit um Landrechte, aber darüber lässt sich verhandeln. Keine Sorge. Die Maori sind ein grimmiges, aber eigentlich recht friedliches Völkchen. «
Johanna lächelte. Überzeugt war sie deshalb noch lange nicht. Es waren Steine auf das Boot geworfen worden! Wenngleich die Wilden nicht einmal versucht hatten, die Passagiere zu treffen, willkommen waren sie hier nicht.
Bald darauf legte das Schiff an einem breiten Kai an, der von den braunen Fluten des Whanganui umspült wurde. Von Deck aus konnte Johanna den weiten Dorfplatz erkennen, der sich an den Hafen anschloss, und dahinter kleine, schmucke Häuser mit üppigen Gärten. Die Siedlung erstreckte sich über mehrere sanfte Hügel. So musste das Paradies aussehen.
Johanna ließ den Blick über die Menschen am Kai schweifen und wurde ernüchtert. Dort warteten Packer und arme Tagelöhner in Lumpen, genau wie in England. Es gab Fuhrleute, die auf Kundschaft harrten, und wenige Siedler, die offenbar Verwandte oder Freunde abholen wollten.
Johannas Herz klopfte wie wild. Gleich, gleich würde sie Thomas sehen. Ob er sich freute? Was erwartete er von ihr?
Immer wieder glitt ihr Blick über die Wartenden, doch sie entdeckte ihn nicht, und der Zweifel begann an ihr zu nagen.
Wollte er sie nicht mehr? Hatte er während der langen Zeit ihrer Trennung in den Armen einer anderen Frau sein Glück gefunden, und war sie möglicherweise nun heimatlos?
Nach dem Furcht einflößenden Anblick der Wilden kam ihr plötzlich der schreckliche Gedanke, dass Thomas verletzt oder gar tot war.
» Sehen Sie ihn schon? «
Johanna fuhr erschrocken zusammen und wandte sich um.
Arthur trat auf sie zu, neben ihm stand Abigail, die gar nicht mehr aufhören konnte zu grinsen und sich versonnen die Handgelenke rieb.
Die Handschellen waren fort, und zurück blieben rote, an den Rändern wund gescheuerte Stellen.
Im nächsten Augenblick fiel sie Johanna um den Hals.
» Das werde ich Ihnen nie vergessen, niemals « , flüsterte sie unter Tränen, dann trat sie hastig zurück.
Johanna wusste nicht, was sie sagen sollte. Obwohl sie die Blicke der anderen Reisenden der ersten Klasse spürte, hielt sie die Irin für einen Augenblick an den Händen und lächelte.
Auch sie war glücklich, dass es Arthur gelungen war, den Aufseher zu überzeugen, Abigail mit ihnen gehen zu lassen, anstatt sie unter den vielen einsamen Siedlern zu verheiraten.
Immerhin bedeutete es, dass Johanna nicht ohne eine Freundin in die fremde neue Welt aufbrechen musste. Sie hatte sich während der langen Überfahrt immer mehr an die ruppige Irin und ihre ehrliche, handfeste Art gewöhnt und wollte sie nun nicht mehr gehen lassen. Für Arthur hatten wohl vor allem zwei Dinge den Ausschlag gegeben, sich für sie einzusetzen: Abigails besondere Fähigkeit, Tiere zu behandeln, und eine kleine Schwäche für die Irin, die Johanna zu beobachten glaubte. Vielleicht wollte er um sie werben.
Johanna dankte Arthur knapp und richtete ihren Blick wieder auf den Kai, wo die Seeleute gerade dabei waren, das Schiff mit mächtigen Seilen zu vertäuen. Ein Zittern durchlief das Gefährt, als es endgültig zum Stillstand kam und gegen die gepolsterten Pfeiler stieß.
Mittlerweile schienen sich fast alle Bewohner des kleinen Ortes im Hafen versammelt zu haben, doch immer noch keine Spur von Thomas.
Auch als sie ausgestiegen waren und mit all ihrem Gepäck auf einer kleinen schlammigen Straße standen, war Johannas Mann nirgends zu sehen. Die Reisenden verliefen sich schnell. Nur wenige hatten Petre als Ziel, und schon in einigen Stunden, wenn die Ladung gelöscht und neuer Proviant geladen war, würde die Lionheart ihre Fahrt nordwärts nach Auckland
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