Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
kam ihr noch immer falsch vor, dass sie sich an den halb geplünderten Speisekammern der geflohenen Dorfbewohner bedient hatten, und auch das gute frische Fleisch, das eines der umherlaufenden Jungschweine geliefert hatte, wollte ihr nicht recht schmecken. Tamati und Arthur hörten nicht auf ihre Einwände, und selbst Abigail fand nichts dabei.
Die Irin hielt sich seit dem Tag, an dem sie von Thomas’ Vertrautem bezichtigt worden war, mit dem Führer Unzucht getrieben zu haben, immer in der Nähe von Johanna. Mittlerweile hegte sie keinen Zweifel mehr daran, dass Arthur der Angreifer gewesen war. Eigentlich hatte sie nie wirklich daran gezweifelt. So ein Verhalten passte nur zu gut zu diesem groben Kerl. Sie nahm sich vor, Thomas zu bitten, ihn zu entlassen. Doch dann rief sich Johanna in Erinnerung, wie oft und mit was für einer Selbstverständlichkeit Arthur Remington in ihrem Haus ein und aus gegangen war, wie oft er unangekündigt erschienen und dann für Stunden mit ihrem Mann in dessen Arbeitszimmer verschwunden war. Nein, Thomas würde sich von ihr nicht überzeugen lassen, es sei denn, sie log und behauptete, Remington sei an ihr interessiert. Doch sie war keine Lügnerin.
Bis zur Ankunft am Tarapunga würde sie Arthur genau im Auge behalten, um Abigail im Notfall beizustehen. Doch das, so schien es, war nicht nötig. Der Maori-Führer hatte einen Narren an ihr gefressen und bewachte sie mit Argusaugen. Abigail dankte es ihm mit dem ein oder anderen kleinen Lächeln, das sie ihm zuwarf, wenn sie sich unbeobachtet glaubte.
Johanna erschloss sich nicht, was sie an Tamati fand, doch bislang benahm er sich auf seine Art wie ein Gentleman und gab keinen Anlass zur Klage.
Jetzt hatte er wieder die Führung der kleinen Reisegemeinschaft übernommen und ritt in flottem Tempo voran. Sie waren dem Land, das Thomas erworben hatte, schon ganz nah. Seit dem Morgen drängte er zur Eile. Die Mittagspause hatte kaum zum Verschnaufen gereicht, am Nachmittag hatten sie ganz auf eine Pause verzichtet. Johanna glaubte jeden Knochen spüren zu können. Doch auch sie wollte keine einzige Nacht länger unter freiem Himmel zubringen.
Würde es heute wirklich soweit sein? Johanna wagte kaum zu hoffen.
Schon seit einer Weile war der Pfad breiter geworden. Im weichen Boden zeichneten sich frische Spuren von Menschen und Pferden ab. Geknickte Farnwedel hingen schlapp, aber noch nicht braun herab. Dann kam die Veränderung mit einem Schlag. Der Wald war plötzlich zu Ende!
Würziger Harzgeruch kitzelte Johannas Nase. Sie stellte sich in die Steigbügel, um an den Männern vorbeizusehen. Vor ihnen lag frisch gerodetes Land. Zwischen Farn und Gestrüpp ragten allenfalls noch Stümpfe empor. Vereinzelte Luftwurzeln von Eisenholzbäumen staken im aufgewühlten Grund. Die Reste der Gewächse lagen hier und da zu welken Haufen aufgetürmt, das Holz der Schlingpflanzen war offensichtlich nicht zu gebrauchen. Nur ein paar kleine dürre Palmen standen wie verlorene Krieger auf einem längst verlassenen Schlachtfeld.
Tamati, der vor Johanna ritt, sagte aufgebracht einige Worte in seiner Sprache, die wie ein Fluch klangen. Sie hatte diese Reaktion schon häufiger bei ihm bemerkt. Große gerodete Flächen schienen seinen Zorn zu wecken. Wahrscheinlich fürchtete er, die Arbeiter hätten irgendwelche Waldgeister aufgeschreckt oder dachte sich ähnlichen heidnischen Unsinn aus. Als der Führer sich im Sattel zu ihr umdrehte, konnte er seinen Ärger kaum verbergen.
» Wir sind da, awaawa te hauwhenua erstreckt sich von hier bis zum Tarapunga, dort unten liegt die Farm! «
Zögernd trieb Johanna ihre Stute an, bis sie zu Tamati aufgeschlossen hatte. Das Land fiel in weichen Bögen ab, wie Wogen eines erstarrten Meeres aus grünem Gras. Ein kleiner farngesäumter Bach lief mitten hindurch und mündete in der Ferne in einen See, der wie ein gewaltiger, zackiger Spiegel zwischen den Hügeln lag. Im Tal vor ihnen duckte sich ein kleines Gebäude. Ungläubig ließ Johanna den Blick schweifen, doch sie konnte kein anderes Haus entdecken, nur die Blockhütte und angrenzend eine kleine marode Scheune mit schiefem Dach.
» Das soll es sein? «
» Ja, Ma’am. «
Johanna schluckte. Ein eisiger Schauder lief ihr über den Rücken und ließ sie erbeben. Sie fühlte sich hilflos. Dort sollte sie leben? In dieser jämmerlichen Hütte? Dort sollte sie Kinder aufziehen? Mutterseelenallein? Sie war doch keine Bäuerin! Was hatte Thomas sich nur dabei
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