Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
aufgegangen.
Johanna zog sich um und sammelte die Kleidung ein, die Thomas am Abend achtlos abgestreift hatte. Als sie seine Weste hochhob, fiel ein kleines zusammengefaltetes Stück Papier heraus, das von der langen Zeit in der Tasche schon ganz gelb und speckig geworden war.
Liams Brief.
Thomas hatte ihn nicht weggeworfen. Widerstrebende Gedanken kämpften in ihr. Sie sollte ihn zerstören, aber wie könnte sie?
Dies waren die letzten Worte, die sie je von ihm erhalten würde. Doch es sollte keine gemeinsame Zukunft geben, niemals. Warum also eine Wunde aufreißen, die sich gerade eben zu schließen begann? Eine schreckliche Narbe würde sie ohnehin für den Rest ihres Lebens in ihrem Herzen tragen.
Mit weichen Knien, den Brief fest an ihr Herz gedrückt, ging sie die Stufen hinab ins Untergeschoss. Die Welt verschwamm in Tränen, während sie in die Küche ging und den Ofen öffnete. Dann drückte sie einen letzten Kuss auf das Papier und legte es behutsam in ein Glutnest. Nur langsam ergriffen die Flammen von dem Brief Besitz. » Es tut mir leid, es tut mir so schrecklich leid « , schluchzte Johanna, während sich langsam die Ecken schwärzten und eine kleine Flamme emporzüngelte. Sie hatte die richtige Entscheidung getroffen, die einzig richtige! Mit einem hilflosen Klagelaut riss sie sich vom Anblick des brennenden Briefs los und schlug die Ofentür zu. Ihre Zukunft gehörte Thomas.
Die Maori standen auf der Wiese direkt gegenüber ihres Hauses. Es waren acht muskulöse Männer von riesenhafter Statur. Sie waren fast nackt, und Johanna konnte auch aus dieser Entfernung die geheimnisvollen Zeichen und Muster erkennen, die sie in ihre Haut gestochen hatten. Zwei Frauen mit geschwärzten Lippen hielten sich etwas abseits.
Sie sahen aus wie lebendig gewordene Statuen. Starr und archaisch, die Augen von einem unheimlichen Glanz beseelt, als wollten sie den kleinen Hof mitsamt seinen Bewohnern auffressen. Die Stabwaffen und Prügel in ihren Händen ließen keinen Zweifel an ihrer Botschaft.
Beinahe starr vor Schreck bewegte Johanna sich auf die Veranda des Hauses zu. Sie war nur kurz im Küchengarten gewesen, um ein paar Kräuter zu holen, mit denen sie den frischen Quark verfeinern wollte. Die Stängel waren ihr längst aus der Hand gefallen. Die Maori mussten in der kurzen Zeitspanne die Wiese vom Wald her überquert und Aufstellung genommen haben. Doch warum griffen sie nicht an? Worauf warteten sie?
Ganz langsam ging Johanna die Verandastufen hinauf, bis ihre Hand den Türgriff ertasten konnte. Sie stieß sie auf.
» Thomas? «
Ihr leiser Ruf verklang ungehört. Sie rief lauter und hörte, wie im Haus ein Stuhl gerückt wurde. Schritte näherten sich.
» Was ist denn? «
» Da sind Leute auf der Wiese am Nordhang. Sie machen mir Angst. « Thomas trat auf die Veranda, beschattete die Augen und sah hinauf.
» Ignoriere sie einfach. Die tun dir nichts « , erwiderte er lapidar und machte Anstalten, gleich wieder ins Haus zu gehen.
» Willst du sie nicht fragen, was sie wollen? «
» Ich weiß, was sie wollen. Die wollen unser Land, den Hof, alles. Aber so läuft das nicht. Ich habe hierfür gutes Geld gezahlt, ich habe die verdammten Bäume gekauft, und jetzt kommen diese Wilden und glauben, sie könnten alles wiederhaben. «
» Aber sie müssen doch verstehen… «
» Nichts verstehen die. Das sind Wilde, die können nicht lesen. Und jetzt berufen sie sich auf einmal auf irgendwelche Verträge, pah! «
Johanna erinnerte sich an die Worte der Wirtin in Petre. Der Vertrag von Waitangi, der den Landbesitz und Verkauf zwischen Weißen und Maori regeln sollte.
» Und sie stehen einfach da und warten? «
» Ja, zwei, drei Mal im Monat tauchen sie auf. Wer weiß, was sie in der Zwischenzeit machen. Vielleicht hockt ihr Hexer im Wald und versucht uns zu verzaubern, und dann kommen sie her, um zuzusehen, wie wir tot umfallen. Was wir nicht tun werden. «
» Thomas, sag so etwas nicht! Du machst mir Angst. «
Sein Blick wurde hart.
» Wir wollen doch mal sehen, wer hier wem Angst macht. «
Ehe Johanna es sich versah, stürmte Thomas ins Haus, griff nach seinem Gewehr und lud es.
» Nein! « , schrie sie entsetzt, » das kannst du nicht tun! «
Thomas riss sich los, sprang von der Veranda und richtete das Gewehr auf die Maori, die weiterhin regungslos dastanden.
» Verschwindet! « , brüllte er und feuerte einen Schuss in die Luft. Das Echo hallte wie ein Donner durch das Tal.
Die Maori-Frauen
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