Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
schrien erschrocken auf und flohen in den nahen Urwald, die Männer bewegten sich plötzlich alle zugleich, aber sie schienen keinen Gedanken an Flucht zu verschwenden. Einer schrie etwas, die anderen fielen mit ein, stampften mit den Füßen auf und reckten wütend die Fäuste.
Mit seltsamen Grimassen schrien sie Thomas scheinbar eine Herausforderung entgegen. Dieser legte zu Johannas Entsetzen das Gewehr an, zielte, und schon krachte ein Schuss.
Er bohrte sich direkt vor den Füßen der Maori in den Boden.
Der bedrohliche Tanz brach genauso plötzlich ab, wie er begonnen hatte, und die Krieger zogen sich langsam und mit erhobenen Häuptern zurück.
Thomas ging zurück ins Haus. Johanna hatte das Gefühl, sich nicht rühren zu können, sie stützte sich am Türrahmen ab und konnte den Blick nicht von der Stelle wenden, wo eben noch die unheimlichen Wilden gestanden hatten. Das Gras war noch von ihren Füßen platt gedrückt.
Sie wandte sich ab, ging ins Haus und zog die schützende Tür hinter sich zu. Thomas stand da, das Gewehr in der Hand. In der Luft hing der Geruch von Schwarzpulver, wie eine tödliche Drohung. Wer war dieser Mann mit dem stechenden Blick? Konnte das noch der Gleiche sein, dem sie in London das Eheversprechen gegeben hatte?
Thomas schien zu bemerken, dass er durch sein Verhalten einen Bruch zwischen sich und seiner Frau provozierte. Er stellte das Gewehr beiseite und streckte versöhnlich die Hand aus.
» Komm, komm her « , meinte er sanft, doch sie rührte sich nicht vom Fleck.
» Du… du hast auf Menschen geschossen « , sagte Johanna mit zitternder Stimme.
Thomas ging zu ihr und nahm ihre Hände.
» Ich habe nicht auf sie geschossen, sondern auf den Boden vor ihren Füßen gezielt. Ich habe nicht die Absicht gehabt, jemanden zu verletzen, das musst du mir glauben. Aber sie sollen eines kapieren: Niemand bedroht ungestraft meine Familie, niemand! «
» Wir müssen versuchen, eine friedliche Lösung zu finden, Thomas. «
Sein Blick wurde weich, als er sich vorbeugte und ihr einen tröstenden Kuss auf die Stirn gab. Das war wieder der Mann, den sie kannte, der sie liebte. Tief in ihrem Inneren beruhigte es Johanna zu wissen, dass Thomas sie mit aller Macht beschützen würde. Es gab ihr Sicherheit. Und doch wollten ihr Thomas’ Worte nicht aus dem Kopf gehen. Ob es wirklich einen Hexer gab, der seine unheimlichen Götter anflehte, die weißen Siedler zu töten?
Würden sie einfach umfallen, wenn er Erfolg damit hätte? Ihr rann ein kalter Schauer den Rücken hinab. Plötzlich hatte sie das dringende Bedürfnis, zu beten und ihre Seele zu reinigen.
Seit sie aufgebrochen waren, ritt Johanna am sonnigen Ufer des Lake Tarapunga entlang.
Heute lag der Mount Paripari, der steil wie ein Kegel aus dem Wald aufragte, ausnahmsweise nicht in einer undurchdringlichen Schicht aus Nebel und Wolken verborgen.
Die Maori-Frauen schritten unermüdlich voran, sangen Lieder in ihrer kehligen Sprache und behandelten ihre ungewöhnliche Begleiterin wie Luft.
Johanna drehte sich im Sattel um und sah zurück. In der Ferne war die dünne Rauchfahne auszumachen, die von dem Sägewerk aufstieg und sich als schmutziger Streifen in einer höheren Luftschicht ausbreitete.
Sie konnte noch immer nicht glauben, dass Thomas sie mit den Maori zum nächstgelegenen Dorf hatte ziehen lassen. Der Ort hieß Urupuia, war nur einen halben Tagesritt entfernt und besaß eine eigene kleine Kirche. Thomas gab sich wirklich Mühe, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Auch ihre Sehnsucht nach einem Kirchenbesuch war nicht ungehört geblieben. Wenige Tage später hatte Thomas einen Botenjungen zur Missionskirche in Urupuia geschickt und prompt Antwort bekommen. Der alte Priester freute sich, Johanna in seinem Gästehaus begrüßen zu dürfen. Tags darauf war die Reise losgegangen. Johanna begleitete einige einheimische Frauen, die Thomas’ Arbeitern regelmäßig Gemüse und Schweinefleisch verkauften, zurück in ihr Heimatdorf. Die Maori sangen und trugen damit zur friedlichen Stimmung der Reise bei. Johannas Bedenken schwanden. Seit dem unglücklichen Zwischenfall mit den Kriegern war sie von einer steten Unruhe befallen, doch je länger nichts geschah, desto zuversichtlicher wurde sie, dass tatsächlich Frieden herrschte.
Die weite, offene Marschlandschaft bot weder Verstecke für kriegerische Maori noch wilde Tiere, die es hier angeblich ohnehin nicht gab, und Johanna hörte nach einer Weile auf, sich bei jedem seltsamen
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