Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
Geräusch im Sattel umzudrehen.
Als die Sonne tief am Himmel stand, entdeckte Johanna mit einem Mal eine kleine Kirchturmspitze zwischen den lichten Kronen mehrerer Südbuchen. Gleich darauf ertönte heller Glockenklang. Ein Geräusch, das so sehr nach dem heimatlichen London klang, dass es Johanna beinahe Tränen in die Augen trieb.
Bald darauf konnte sie auch die ersten Häuser der Siedlung Urupuia ausmachen. Es waren kleine gedrungene Bauten, vielfach mit den kunstvollen Schnitzereien der Maori verziert. Die Dächer waren mit den mannshohen Wedeln der Nikau-Palmen gedeckt. Kinder, Hühner und struppige Hunde liefen zwischen den Hütten umher.
Die Maori-Frauen, die sie bis hierher begleitet hatten, verabschiedeten sich eine nach der anderen und kehrten zu ihren Familien zurück. Schließlich ritt Johanna allein zu der Kirche und hielt ihr Pferd neben einem kleinen verwunschenenFriedhof an, auf dem nicht mehr als zwei Dutzend teils schiefer Holzkreuze aus dem Boden ragten. Neben dem Friedhofstor stand ein hölzernes Wasserbecken. Eine alte Frau wuschsich die Hände darin und scheuchte Star mit einem zornigen Ausruf fort, als die Stute sich durstig nach dem Wasser reckte.
Johanna stieg aus dem Sattel, streckte ihre Beine, die vom langen Ritt schmerzten, und führte ihre Stute weiter zu einem kleinen Haus, das direkt neben der Kirche lag.
» Hallo, ist da jemand? « , rief sie unsicher.
Im nächsten Moment wurde die Tür geöffnet. Ein hellgrauer wuscheliger Kopf lugte hervor, kleine fröhliche Augen blitzten aus einem rundlichen Gesicht eines Mannes Anfang sechzig. » Der Herr segne diesen Tag! «
Gleich darauf wurde die Tür ganz aufgestoßen, und der Missionar lief eilig auf sie zu und streckte ihr die Hand hin.
» Ich bin Father Blake. Sie müssen Mrs Waters sein. Endlich kommen Sie nach Urupuia. Ich freue mich schon, seitdem Ihr Mann mir die Nachricht schickte. Ich hab schon so viel von Ihnen gehört. Tamati Maunga hat viel von Ihnen erzählt, und nur Gutes! «
» Oh « , brachte Johanna nur über die Lippen, als der Fremde sich auch schon umdrehte und in Richtung Haus brüllte:
» Hariata, wir haben Besuch! «
Johanna konnte nicht aufhören zu staunen, was der anglikanische Geistliche nicht schon alles über sie in Erfahrung gebracht hatte. Angefangen von dem Tag ihrer Ankunft, über die ambitionierte Idee, die Schafzucht ihres Vorgängers fortzusetzen, bis hin zu dem Zwischenfall mit den Maori, als Thomas auf sie geschossen hatte. Das war nun zwei Wochen her. Die Maori-Händlerinnen schienen auf der anderen Seite des Sees für ihn Augen und Ohren offen zu halten.
» Er hat neben sie auf den Boden gezielt « , erklärte Johanna beschämt und schob den leeren Teller von sich. Der Eintopf hatte fantastisch geschmeckt. Das Haus des Priesters war klein und gemütlich, vollgestopft mit den Schnitzereien der Ureinwohner, die allerdings diesmal christliche Motive zum Thema hatten: einen Jesus am Kreuz und Adam und Eva unter dem Baum der Erkenntnis. Sie hatten seltsam verrenkte Glieder und verschmolzen mit dem Geäst und der Schlange. Es war ein sehr gewöhnungsbedürftiger Anblick.
» Wissen Sie, warum Ihr Vorgänger die Farm verlassen hat? « , fragte Father Blake und musterte sie gutmütig.
Johanna schüttelte den Kopf.
» Der Vertrag, den er mit den Maori geschlossen hatte, war ungültig. Die Familie, die das Land verkauft hat, war nicht der Eigner, abgesehen davon wussten sie nicht, was sie da unterschrieben hatten. Die meisten Maori können nicht lesen. Seit dem Vertrag von Waitangi sind all diese Verträge ungültig. Die Maori dürfen ihr Land nicht mehr direkt an die Siedler verkaufen, sondern nur an die Krone. Auf diese Weise sollen unfaire Verträge und Betrug verhindert werden. Immerhin haben die Häuptlinge, indem sie den Vertrag unterzeichneten und der Annexion Neuseelands durch die Krone zustimmten, alle Maori zu gleichwertigen Bürgern des Commonwealth gemacht, die ein Recht auf faire Abkommen haben. «
Johanna wollte ihren Ohren nicht trauen. » Ungültig? Aber wie stellen sie sich das vor? Was sollen wir denn tun? Mein Mann hat das Land bezahlt. Es gehörte jemandem, der nach England heimgekehrt ist. Die Urkunde ist rechtskräftig. Die können uns doch jetzt nicht einfach davonjagen! «
» Na, na. Niemand will Sie davonjagen. Ihr Mann sollte sich mit den Ältesten zusammensetzen und über die Angelegenheit reden. Oft ist so ein Konflikt schnell beigelegt. Ein paar Gewehre, vielleicht
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