Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
geblieben war. Ein schier endloser Schatz von Erinnerungen war an den Wallach geknüpft.
Auf der anderen Seite des Lavafeldes angekommen, machten sie kurz Halt. Die Männer nahmen ihr Gepäck ab, tranken etwas, verschnauften. Liam trabte an den Fußsoldaten vorbei und schloss zu Adam und Major Nelson auf, die beide abgestiegen waren und sich mit dem Kommandanten der Infanterie und den Maori-Führern berieten.
Die Eingeborenen waren aufgebracht. Sie vermuteten eine Falle. Der Wald vor ihnen war voller Höhlen und Felsen, die durch die Vulkanausbrüche entstanden waren, und boten ideale Verstecke für einen Hinterhalt.
Major Nelson, ein hagerer Mann mit gepflegtem grauen Schnurrbart und tief liegenden Augen, wollte davon nichts hören. Was sollten ein paar Wilde mit Keulen und Schleudern schon gegen eine gut bewaffnete Kompanie der britischen Krone ausrichten?
Liam war nicht wohl bei dem Gedanken, unvorbereitet in den Urwald zu reiten. Die Sicht war durch den Nieselregen miserabel, der Himmel aschgrau, genau wie die Lava. Unter den Bäumen verschwammen die Schatten zu undurchdringlichen Gebilden, in denen sich alles Mögliche verbergen konnte. Aber Liams Meinung interessierte Major Nelson nicht. Das hatte er schon bei seinem ersten Treffen mit ihm klargemacht.
Für den kampferprobten Mann waren die jungen, adeligen Offiziere, die mit den Schiffen aus dem Mutterland kamen, nicht mehr als Ballast.
Von dem, was sie in der königlichen Akademie gelernt hätten, könnten sie sich getrost verabschieden, hatte er mit hochrotem Kopf gedröhnt und von da nur das Notwendigste mit den jungen Männern gesprochen.
Der Wald würde die Stärken der Kavallerie zunichtemachen. Die Pferde konnten in dem dichten Unterholz nicht manövrieren und behinderten bei einem Kampf womöglich noch die Fußsoldaten. Liam äußerte seine Bedenken vorsichtig.
» Ich habe Sie nicht um Ihre Meinung gebeten, Fitzgerald « , fuhr ihm der Vorgesetzte über den Mund.
» Verzeihung, Sir « , grollte Liam, er hielt die Zügel so fest umklammert, dass Cassio nervös mit den Ohren zuckte.
» Wir marschieren weiter « , befahl Nelson. » Entweder wir bekommen endlich Feindkontakt, oder wir haben ein sicheres Lager bei Einbruch der Dunkelheit. «
Liam ließ die Schultern kreisen und versuchte das Gefühl von Unsicherheit zu vertreiben, das sich wie ein Stachel in seine Rückenmuskeln bohrte. Sie wurden beobachtet, er spürte es.
Nelson befahl die Kavallerie ans Ende des Zuges.
Adam lenkte sein Pferd neben Liams, und sie warteten ab, bis die Fußsoldaten an ihnen vorbeimarschiert waren.
» Ich hab ein schlechtes Gefühl bei der Sache « , murrte Adam.
Liam hob die Brauen. Er also auch.
Wortlos überprüften beide noch einmal den Sitz der Waffen. War der Säbel locker in der Scheide? Eine Kugel und trockenes Pulver im Lauf?
» Halten wir Augen und Ohren offen und machen Marina keinen Kummer. «
Liam nickte zu Adams Worten.
» Ich halte dir den Rücken frei. «
» Ich weiß, mein Freund, und ich deinen. «
Es blieb still, doch das merkwürdige Gefühl, als lauere dort etwas in den Schatten, ließ Liam nicht los.
Die Unruhe übertrug sich auf sein Pferd. Cassio tänzelte, kaute auf der Kandare und kämpfte gegen die Zügel. Er wollte weg von hier, genau wie sein Herr.
» Verdammt, Cassio « , fluchte Liam und brachte den Wallach unsanft zur Räson. Er musste sich auf Wichtigeres konzentrieren als auf ein nervöses Pferd.
Der Wallach legte die Ohren an und schlug mit dem Kopf, blieb aber auf Position. Liam fühlte sich, als säße er auf einem Pulverfass, so angespannt war jeder Muskel des Gauls.
Hatte sich dort bei den Felsen nicht gerade etwas bewegt? Nein, nur eine Windbö, die durch das Farn fuhr und Regentropfenschauer zu Boden jagte.
Plötzlich zerriss ein Schuss die angespannte Ruhe. Dann brach die Hölle los. Der Wald gebar zahllose Krieger, und entgegen der Einschätzung des Majors waren viele mit Gewehren bewaffnet. Mehrere Reiter stürzten getroffen aus den Sätteln. Pferde brachen zusammen, andere stiegen oder warfen ihre überraschten Reiter ab.
Unter der Kavallerie brach Chaos aus. Die Fußsoldaten versuchten, sich in einer Linie aufzustellen, um den angreifenden Maori geordnet entgegenzutreten, doch die aufgebrachten Tiere sprengten immer wieder die Reihen.
Liams Pferd drehte sich im Kreis, doch er hatte den Wallach unter Kontrolle.
» Zu mir! Die Reiter zu mir! «
Adam wiederholte seinen Befehl, und endlich kam Ordnung in
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