Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
konnte, wurde als Nächster krank. Er sah voraus, dass diesem Ort das Ende drohte, dann starb er.
Sie starben alle. Männer, Frauen, Kinder. Das Fieber machte keinen Unterschied zwischen Jung und Alt. Ich wurde auch krank, aber ich überlebte. Schließlich waren nur noch elf übrig. «
Erschüttert legte Johanna der alten Frau eine Hand auf die Schulter. In Hariatas Augen standen Tränen.
» Das tut mir schrecklich leid. «
Die Maori nickte, ging langsam ein Stück weiter und strich über die verzierten Pfeiler eines Gebäudes. Menschenfiguren flankierten die Tür.
» Was ist dann geschehen? Seid ihr fortgegangen? «
» Niemand wollte mehr hier leben. Es herrschte so viel Trauer. Wir sind fortgezogen, ja. Urupuia wurde unser neues Heim. «
» Das hier ist ein besonderes Gebäude, oder? «
» Ja, es ist das Ahnenhaus. Aber jetzt wohnen die Geister unserer Vorfahren nicht mehr darin. Wir haben sie mit uns genommen. «
Johanna war näher getreten und lugte in das verschattete Gebäude. Es zu betreten, wagte sie nicht. Wahrscheinlich hätte sie es auch nicht gedurft.
» Nachdem wir zwei Jahre in dem neuen Dorf gewohnt hatten, die ersten Kinder geboren worden waren und mit ihnen das Leben zurückgekehrt war, kam ein Boot mit einem Pakeha zu uns. Die meisten hatten nie zuvor einen gesehen.
Er fragte, ob er Land von uns kaufen könne, und wir gaben ihm den Wald, der krank vom Fieber seiner Brüder war. Wir dachten, er würde sterben, aber das tat er nicht. Er fällte Bäume und nahm dem Wald das Taonga weg, und er wurde nicht dafür bestraft. «
» Taonga? «
» Ach, das versteht ihr nicht. «
» Erklär es mir Hariata. Ich werde zuhören, und ich bin mir sicher, dass ich es verstehe. Thomas hört nie zu, aber ich. «
Hariata nickte ernst und wies auf die Stufen vor dem Ahnenhaus.
» Wenn Sie es wirklich wissen wollen, dann setzen Sie sich mit mir hierher. Es wird eine Weile dauern. «
Johanna setzte sich, zog die Beine an und legte die Arme um die Knie. Sie wollte die Geschichte wirklich hören, und vielleicht sehnte sie sich auch ein wenig danach, nicht mit Thomas und seinen groben Handlangern über einen Kamm geschoren zu werden. Sie war anders, das sollte ihre neue Freundin wissen. Geduldig wartete sie, bis Hariata ihre Gedanken geordnet hatte und fortfuhr. » Taonga ähnelt dem, was ihr Pakeha Seele nennt. Stellen Sie sich vor, ich gebe Ihnen etwas, das ich angefertigt habe als Geschenk, wie diesen Korb in meiner Hand. «
Johanna nickte und betrachtete wieder einmal das beeindruckend schöne Flechtwerk. Wie sie wusste, war der Korb aus Harakeke, einer einheimischen Flachsart, die wunderschöne gelbe Blüten hervorbrachte und in der Nähe von Urupuia auf großen Feldern angebaut wurde.
» Ich habe den Korb gemacht und Tage daran gearbeitet, also ist er auch ein Teil von mir, ein Teil meines Lebens, meiner Seele. «
» Dein Taong a ? «
» K ā tahi n ā ka tika! Richtig. Wenn ich Ihnen diesen Korb schenke, schenke ich Ihnen also auch einen Teil von mir. Aber ich habe keine Angst, nichts zurückzubekommen, denn nachdem Sie das Geschenk erhalten haben, wächst in Ihnen das Gefühl, mir etwas zurückgeben zu müssen. Das ist das Taonga im Korb, es drängt Sie dazu. «
» Genau. Ich hätte ein schlechtes Gewissen, wenn ich dir nichts zurückgeben würde. «
» Schlechtes Gewissen, Taonga, nennen Sie es, wie Sie wollen. Wenn Sie mir also etwas zurückschenken, dann ist es zwischen uns wieder ausgeglichen. Wenn Ihr Geschenk aber den Wert des meinen übersteigt und ich es nicht zurückgeben kann, wird sich Ihr Taonga gegen mich wenden, und ich werde immer in Ihrer Schuld sein… «
» …und das wäre beschämend. Das verstehe ich. «
» Nun, Miss, es geht noch weiter. Wo habe ich den Korb her? «
» Du hast ihn selbst gemacht. «
» Sicher, aber ich habe die Materialien nicht geschaffen, weder die Fasern des Harakeke noch die Baumrinde, die ich zum Färben benutzte. Die habe ich im Wald gesammelt. Ich habe sie genommen… «
» Also schuldest du dem Wald etwas? « , Johanna musste kichern, so sehr sie sich auch bemühte, ernst zu bleiben. » Aber es sind doch nur Bäume und Schlingpflanzen und schlammiger Boden. «
» Sie sind und bleiben eine Pakeha « , sagte Hariata, doch sie klang keineswegs abfällig. » Unsere Götter leben überall, in den Bergen, im Wald, im Wasser. Dieser Korb enthält das Taonga des Waldes, und ich muss etwas zurückgeben, wenn ich mir nicht den Zorn des Waldgottes
Weitere Kostenlose Bücher