Im Tal des Windes: Roman (German Edition)
zuziehen will. Ein ewiger Austausch. «
Sie stand auf. Johanna erhob sich mit ihr und sah sich mit neu erwachtem Unbehagen um. Fast meinte sie spüren zu können, wie die Waldgeister sie beobachteten. Schatten formten sich zu Kreaturen und schienen auf sie zuzukriechen.
» Kommen Sie, ich zeige Ihnen nun, wo der Geist des Waldes wohnt. «
Johanna verschränkte die Arme und stapfte hinter Hariata her.
Ob die Eingeborene wohl recht hatte, mit dem, was sie sagte? Sie glaubte daran, ganz ohne Zweifel. Und hier, mitten in dem finsteren Urwald, fiel es auch Johanna leicht, zumindest ein wenig Aberglauben zu entwickeln.
Der Marsch dauerte diesmal nur ein paar Minuten, dann erhob sich vor ihnen, auf einer Lichtung, ein seltsam verdrehter Baumriese. Er musste viele Hundert Jahre alt sein. Einige Äste waren wohl zu schwer geworden und abgebrochen, aus den Stümpfen schossen neue hervor.
Hariata blieb ehrfürchtig stehen und richtete eine kurze Ansprache in Te Maori an den Geist im Baum, dann legte sie einige Früchte aus dem Garten zwischen die Wurzeln in einen Hohlraum. Süßkartoffeln, Kohl, sogar zwei Hühnereier waren darunter. Für einen Augenblick stand sie einfach nur da und drückte beide Hände gegen die rissige Borke.
Johanna wusste nicht, was sie tun sollte. Sie wäre gerne hinzugetreten, um das Heim des Maori-Gottes näher in Augenschein zu nehmen. Der Baum übte eine seltsame Anziehung auf sie aus.
Ob er sich anders anfühlte als gewöhnliche Bäume? Würde sie einen Unterschied spüren, oder konnten das nur diejenigen, die an seine besondere Kraft glaubten? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden.
Wieder einmal besiegte Johannas Neugier ihre Vernunft. Mit einem gemurmelten » …und beschütze mich vor dem Bösen, Amen « , auf den Lippen trat sie zu Hariata und legte den Kopf in den Nacken. Der Baum schien aus dieser Perspektive bis in den Himmel zu reichen. Seine verdrehten Äste streiften die Wolken. Während Johanna hinaufsah, riss die graue Masse plötzlich auf, und die Sonne flutete das Land mit Licht.
Johanna kniff geblendet die Augen zusammen, als sich ein Strahl den Weg durch das Blätterdach bis in ihr Gesicht bahnte. Weiße Flecken tanzten vor ihren Augen.
Sie legte die Hände an die Borke. Die Wärme schien direkt aus dem Baum zu kommen und linderte das Frösteln, das sie noch Momente zuvor verspürt hatte. Es war ein kleines Wunder.
Als sie die Augen wieder öffnete, blickte sie in Hariatas strahlendes Lächeln.
» Manche Pakeha sind doch anders, scheint mir. «
Johanna zog eilends die Hände weg. Götzendienst, es gab kaum etwas Schlimmeres! Gott würde ihr zürnen, und wenn sie bei der nächsten Beichte Father Blake erzählen würde, dass sie bei dem Baum des Waldgottes gewesen war, würde nicht nur sie, sondern auch Hariata Ärger bekommen.
» Bringst du oft Sachen her? « , fragte sie, um schnell auf andere Gedanken zu kommen.
» Immer wenn ich das Gefühl habe, es sei nötig. «
Hariata sah noch einmal zu dem Baum und schlug dann den Weg in Richtung Farm ein. Johanna beeilte sich, ihr zu folgen.
» Früher sind die Frauen regelmäßig hierhergekommen. Wenn sie keine Kinder bekamen oder die Kinder nicht auf die Welt kommen wollten. Mit kleinen Geschenken haben sie die Hilfe der Geister erbeten und wurden fast immer erhört. Heute ist der Weg vom neuen Dorf zu weit und beschwerlich, vor allem für die Schwangeren. Viele alte Frauen, älter als ich, glauben, die Gier der Pakeha habe den Waldgott erzürnt, und er sei böse geworden. Er sinnt auf Rache und hat kein Interesse mehr daran, dass die Früchte reifen und neue Menschen geboren werden.«
» Wie haben wir ihn denn erzürnt? Ich glaube nicht, dass Thomas je von deinem Gott gehört hat « , erkundigte sich Johanna und ahnte eigentlich bereits, was Hariatas Waldgeist wütend gemacht hatte.
» Seit Jahren fällen die Menschen die Bäume, machen alles nieder und verbrennen Stumpf und Wurzeln. Sie fällen mehr, als sie für die Häuser und ihre Schafe brauchen, und kein Einziger hat je etwas zurückgegeben. Ich verstehe es nicht.
Er müsste sie strafen, müsste die Erde beben lassen vor Zorn und die Berge Feuer spucken. Stattdessen plagt er uns mit der Pakeha -Seuche und lässt zu, dass wir vertrieben und erschlagen werden. «
Johanna schluckte. Neulich hatte Thomas ihr eine selbst gezeichnete Karte gezeigt. Wenn sie es richtig verstanden hatte, so wollte er noch im Winter beginnen, den Wald abzuholzen, in dem die Maori
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