Im Taumel der Herzen - Roman
wäre ich sicher am Boden zerstört, doch ich kann mich tatsächlich nicht daran erinnern, mich ihr vorgestellt zu haben. Ich kann in ihrer Gegenwart einfach nicht klar denken – genau wie jetzt.«
Ihr rotes Gesicht wurde noch eine Spur heißer, oder vielleicht wurde ihr auch insgesamt heißer. Sie befürchtete, jeden Moment in nervöses Gekicher auszubrechen. Mit dieser Art von Aufregung hatte sie einfach keine Erfahrung. Es war ihr fast ein bisschen zu viel. Schon dass sie hier ganz allein mit ihm saß, war so unanständig! So ähnlich musste es sich anfühlen, wenn man ein Stelldichein mit seinem Liebsten hatte.
Sie hätte den Blick besser nicht von seinem Gesicht abwenden sollen. Der Anblick der Verbände dämpfte ihre Aufregung und rief ihr seinen Zustand ins Gedächtnis, welcher ihr Mitgefühl erregte und sie ein wenig vergessen ließ, wie sehr sie sich körperlich zu ihm hingezogen fühlte. Deswegen hob sie den Blick langsam wieder, blieb jedoch an Jean Pauls Schultern hängen. Er hatte sich etwas herumgedreht, um sie besser sehen zu können, und dabei war ihm das Haar über die Schulter gefallen. Es war so lang.
Lachend deutete sie mit ihrem Finger darauf. »Ist das eine französische Mode?«
»Sie meinen mein Haar? Das ist eine längere Geschichte, die ich ehrlich gesagt lieber für mich behalten würde. Sie müssen
sich damit zufriedengeben, dass ich es einfach gern so trage.«
»Es ist fast so lang wie meines!«, rief sie.
»Tatsächlich? Lassen Sie Ihr Haar doch herunter und beweisen Sie es mir!«
Seine Stimme klang mittlerweile viel zu heiser. Julia spürte ein nervöses Flattern im Bauch. Auch ihr Pulsschlag beschleunigte sich. Die Situation geriet außer Kontrolle! Ihr kam der Gedanke, dass er womöglich glaubte, sie wäre gekommen, um ein Schäferstündchen mit ihm abzuhalten. Konnte man es ihm verdenken? Sie sollte gar nicht hier sein!
»Ich gehe jetzt besser«, verkündete sie abrupt und machte dabei Anstalten, sich zu erheben.
»Nein, nein, das dürfen Sie nicht! Seit dem Moment, als Sie erschienen sind, habe ich keine Schmerzen mehr.«
Was für eine faustdicke Lüge, dachte sie, musste über die Schmeichelei aber dennoch lächeln. Als er ihr daraufhin seine Hand auf den Arm legte, um sie zum Bleiben zu bewegen, konnte sie an nichts anderes mehr denken als an die Tatsache, dass er sie berührte.
Schließlich stieß sie hervor: »Ihre Freundin Gabrielle war der Meinung, eine Aufmunterung könnte Ihnen nicht schaden, doch allem Anschein nach wusste sie gar nichts von Ihren Verletzungen.«
»Sie macht sich meinetwegen zu viele Sorgen.«
»Mit gutem Grund, wie mir scheint.«
»Seien Sie mein Schutzschild!«, antwortete er grinsend. »Solange Sie hier sind, wird sie mich wenigstens nicht anschreien. «
Julia musste lachen. »Ich habe das dumpfe Gefühl, sie …«
Als er sich plötzlich zu ihr hinüberbeugte, schnappte sie überrascht nach Luft, hörte dann jedoch das Summen einer Biene neben ihrem Ohr und wich instinktiv davor zurück, wodurch
ihre Wange für einen Moment seine Brust streifte. Er versuchte, das Insekt mit der Hand von ihr wegzuscheuchen. An seinem Ächzen merkte Julia, dass er dabei seine blutunterlaufenen Rippen zu sehr streckte. Die Biene aber hörte sie nicht mehr, er hatte sie wohl tatsächlich vertrieben. Wie ritterlich von ihm, sich ihretwegen derart anzustrengen, obwohl ihm doch jede Bewegung Schmerzen verursachte!
»Vielen Dank!« Sie lehnte sich im selben Moment zurück wie er und bemerkte sofort, dass ihm bei seinen Bemühungen der Verband vom Gesicht gefallen war.
»Das störende Ding sollte ohnehin diesen Nachmittag entfernt werden«, erklärte er grinsend, wobei er sich erneut ein Stück zu ihr hinüberbeugte, damit sie sich selbst davon überzeugen konnte. »Glauben Sie mir nun, dass es sich nur um ein paar Kratzer handelt? Ich sehe doch nicht allzu schlimm aus, oder?«
Nein, aber viel zu gut , dachte sie. Als sie seinem Blick begegnete, wurde ihr klar, dass sie ihm mittlerweile auch viel zu nahe war – und spürte bereits, wie seine Lippen die ihren berührten. Ihr blieb keine Zeit, nach Luft zu schnappen, weil sein Mund sich sofort um den ihren schloss. Vor lauter Überraschung vergaß sie dieses Mal sogar, die Lippen zusammenzupressen, sodass seine Zunge ungehindert hineingleiten konnte. Während er behutsam begann, ihren Mund zu erforschen, stellte sie erstaunt fest, wie gut der seine schmeckte, und wie schnell und leidenschaftlich sie den Kuss
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