Im Taxi - unterwegs in Kairo
wieder ins Taxi. Der Fahrer lachte und sagte: »Wollten Sie mich in diesem Schlamassel etwa alleinlassen? Gott hat anders entschieden.«
»Ich habe nur versucht, pünktlich zu meinem Termin zu kommen.«
»Den können Sie vergessen. Das ist ein Megastau. Ich musste hier mal vier Stunden warten, ohne dass es vorwärtsging.«
»Was? Vier Stunden?«
»Als ich an dem Tag hier rauskam, brachte ich den Wagen zu seinem Besitzer, gab ihm alles Geld, das ich bei mir hatte, und sagte ihm, dass ich ihm den Rest am nächsten Tag geben würde. 49 Dann ging ich nach Hause, und die ganze Familie musste ohne Abendbrot ins Bett. Wie jeden Tag hatte meine Familie auf mich gewartet, aber als ich mit leeren Händen heimkam, weinte meine Frau und brachte die Kinder insBett. Ich stellte mich ans Fenster und lauschte einer Koranrezitation, um mich zu beruhigen.«
»Und was werden Sie heute tun?«
»Das hängt ganz von Ihnen ab. Sie könnten mich ja für die Stunden entschädigen, die wir hier zubringen müssen.«
»Sie haben mir die Geschichte also nur erzählt, um ein fürstliches Trinkgeld zu bekommen?«
»Nein, das schwöre ich beim Heiligen Koran! Was ich Ihnen erzähle, ist die reine Wahrheit. Und wenn Sie nicht mehr bezahlen wollen, als Sie mir schon gegeben haben, dann ist das in Ordnung. Bleiben Sie einfach hier, um mit mir zu reden.«
Wir blieben sitzen, drei Stunden lang. Er erzählte mir, dass er Kairo einst leidenschaftlich geliebt hatte, später mochte er es bloss noch, dann hegte er zwiespältige Gefühle für die Stadt, schliesslich mochte er sie überhaupt nicht mehr und heute verabscheue er sie. Er erzählte mir an die zwanzig Witze, und ich gab bestimmt ebenso viele zum Besten. Leider kann ich sie nicht wiedergeben, denn jeder einzelne würde genügen, mich wegen Verleumdung ins Gefängnis zu bringen. Allerdings sehe ich nicht ein, warum ich für Witze in den Knast gehen sollte, die praktisch alle Ãgypter kennen, die sie sich täglich erzählen und über die jeder lacht.
So sage ich hier nur, dass wir sehr viel lachten, auch wenn ich es nicht zu meinem Termin schaffte.
35
»Hier ist Kairo. Die Nachrichten.« Nachdem der Sprecher detailliert berichtet hatte, wie Präsident Mubârak seinen Tag verbrachte, ergötzte er uns mit zahllosen Unglücksfällen und Katastrophen aus der ganzen Welt: Israel, Irak, Indien, Pakistan, Philippinen.
»Warum halten die uns eigentlich für geistig zurückgeblieben, für sabbernde Idioten, die noch nicht einmal aus dem Kindergarten raus sind?«, ereiferte sich der Fahrer. »Solange ich denken kann, berichten sie jedes Mal, wenn bei uns ein Unglück passiert, über ähnliche Ereignisse aus der ganzen Welt. Verunglückt ein Zug bei uns, hören wir plötzlich tagelang von allen möglichen Zugunglücken, die in der Welt passiert sind. Nach dem Flugzeugabsturz in Scharm al-Scheich haben sie uns über sämtliche Flugzeugunglücke im gesamten Universum informiert, sogar über die von Agrarfliegern.
Jetzt nach dem Terroranschlag auf dem Tachrîrplatz reiben sie uns Schiessereien von überall her unter die Nase. Gestern habe ich gehört, dass in Amerika einer auf der Strasse auf einen andern geschossen hat. Meine Herren, was für ein Attentat! Und morgen werden sie uns erzählen, dass es auch im Wolkenkuckucksheim Terroranschläge gegeben hat und auch im Land, wo man auf Elefanten reitet.
Dann kommt die Dame, die im Radio das Kinderprogramm moderiert, spricht zu uns mit ihrerIhr-müsst-eure-Milch-vor-dem-Schlafengehen-trinken-Stimme und gibt uns in ihrer mütterlichen Art Ratschläge, als würde das ganze Volk noch immer Windeln tragen. Ich möchte zu gern wissen, ob jemand eigentlich dem Informationsminister, seinem Vorgänger und seinem Vorvorgänger gesagt hat, dass wir geistig zurückgeblieben sind oder noch von unseren Müttern gestillt werden. Haben die nicht langsam die Nase voll? Immer wieder ist es die gleiche Geschichte, bis keiner mehr Lust hat, Radio zu hören oder Zeitung zu lesen.
Unter uns gesagt, ich habe auch genug von den Berichten über den Präsidenten. In jeder Nachrichtensendung hören wir, dass der Präsident den und den getroffen oder mit dem und dem telefoniert hat oder dass der und der ihn auf dem Handy angerufen hat. Es ist mir doch völlig egal, mit wem er gesprochen oder
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