Im Taxi - unterwegs in Kairo
alle weg sind. Dann ist ja keiner mehr übrig.
Ob der Innenminister, bevor er ins Bett geht, wohl darüber nachdenkt, was er uns antut? Ist ihm eigentlich bewusst, dass wir gutausgebildete Leute sind und wie sehr sich unsere Eltern für uns abgerackert haben? Weiss er, dass wir von seinen Polizisten auf der Strasse runtergemacht werden? Ist ihm überhaupt klar, dass wir die Schnauze voll haben und uns bald der Kragen platzt? Es ist nicht mehr zum Aushalten. Wir tun alles, um einigermassen leben zu können, und das Innenministerium behandelt uns, als wären wir Verbrecher oder Lügner. Für die Polizisten sind wir eh alle Schwindler. Das wird denen offenbar auf der Polizeischule beigebracht: dass der Mensch als Lügner geboren wird, als Lügner lebt, die Lüge ein- und ausatmet und als Lügner stirbt. Als ich dem Polizisten gestern sagte, dass ich nicht telefoniert hatte, erwiderte er: âºDu hältst es doch in der Hand, also hast du auch telefoniert.â¹ Keine Sekunde hat der sichüberlegt, dass ich die Wahrheit sagen könnte. Die Wahrheit? Wie könnte ich denn die Wahrheit sagen, wo wir doch sowieso alle Schwindler und Dreckskerle sind und man uns mit alten Schuhen versohlen müsste? Ich habe wirklich das Gefühl, dass wir gar keine Menschen, sondern alte Schuhe sind. Was meinen Sie, mein Herr: Bin ich ein Mensch oder ein alter Schuh?«
Er schaute mich an, in Erwartung einer Antwort. Doch ich konnte mich nicht beherrschen und musste lachen. Sein Zorn war so heftig, dass man nicht wusste, ob man lachen oder weinen sollte. Dann entschuldigte ich mich und sagte: »Natürlich sind Sie ein Mensch.«
Schliesslich meinte er: »Eine Sorge bringt dich zum Lachen, eine andere zum Weinen.« Er entschuldigte sich, dass er seine Wut an mir ausgelassen hatte, und erklärte mir, dass ich sein erster Kunde sei, nachdem er vom Verkehrsamt zurückgekommen war.
Als er sich etwas beruhigt hatte, fragte er mich: »Wissen Sie, was die Ursache des ganzen Problems ist?«
»Was denn?«
Lachend sagte er: »Die Sache ist nämlich die: Während der Fahrt bekam ich eine SMS und las sie. Es war ein Witz, und ich musste lachen â genau in dem Moment, als ich die Verkehrskontrolle passierte. Deshalb dachten sie, ich würde telefonieren. Ein Witz hat mir den ganzen Mist eingebrockt.«
»Wie ging denn der Witz?«
»Wir danken allen, die im Referendum mit Ja gestimmt haben, insbesondere aber Umm Naima, die sogar zweimal Ja gesagt hat. 48 «
Wir brachen beide in lautes Gelächter aus.
34
Ich war auf dem Weg nach Heliopolis, wo ich einen wichtigen Termin im Büro für Ãffentlichkeitsarbeit der Armee hatte. Dort wollte ich die Genehmigung einholen, vor der Tribüne zu drehen, auf der Präsident Anwar Sadât 1981 erschossen worden war. Den Termin hatte ich schon lange vorher beantragt. Ich wollte auf keinen Fall zu spät kommen und ging deshalb eine gute halbe Stunde zu früh los.
In Dukki nahm ich ein Taxi. Wir fuhren auf die Brücke des 6. Oktober. Wie üblich herrschte dichter Verkehr, aber ich war nicht weiter beunruhigt. Bis zur Salâch-Sâlim-Strasse hatten wir etwa so viel Zeit gebraucht, wie ich berechnet hatte, doch als wir das Ausstellungsgelände erreichten, kam der Verkehr völlig zum Erliegen. Noch machte ich mir keine grossen Sorgen, aber das Warten zog sich in die Länge, und die Zeit schien stillzustehen. Wir begannen die Fahrer der Autos neben uns zu fragen, was los sei. Sie sagten, Präsident Mubârak mache einen Ausflug. Gut, dachte ich, hoffentlich kommt er heil an, und in ein paar Minuten würde man die Strasse wieder freigeben.
Wir blieben im Auto sitzen, das, wie von Zauberhand in einen Felsbrocken verwandelt, mitten auf der Strasse feststeckte. Niemand hätte es auch nur einen Millimeter bewegen können, nicht einmal Herkules. Nachdem wir bald eine Stunde gewartet hatten, beschloss ich, dem Fahrer sein Geld zu geben und zu Fuss weiterzugehen. Das schien mir effektiver, als sitzenzu bleiben. Doch gerade als ich aussteigen wollte, kam ein Polizist und verbot mir, den Wagen zu verlassen.
»Was soll denn das?«, fragte ich.
»Das ist nicht erlaubt, mein Herr. Sie müssen im Auto bleiben.«
»Warum denn? Das ist doch eine Strasse, und ich möchte auf dieser Strasse zu Fuss gehen.«
»Das ist verboten, mein Herr. Setzen Sie sich wieder ins Auto!«
Entmutigt stieg ich
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