Im Taxi - unterwegs in Kairo
Ton nicht runter, ich will zuhören. Steigen Sie aus, oder soll ich weiterfahren?«
Ich sagte nichts mehr, und er fuhr weiter. Ich überlegte, ob ich mit ihm über den Grundsatz sprechen sollte, bei der Wahrnehmung eigener Rechte masszuhalten, und darüber, dass die Freiheit des einen dort endet, wo die Freiheit des anderen beginnt. Aber dann sagte ich mir, dass das auf Ãgyptens Strassen ohne Belang war, die von Lärm erfüllt sind, wo man von Lautsprechern umgeben ist und sich keiner darüber beklagt.
Die eine Seite der Kassette war zu Ende, und der Fahrer drehte sie schnell um. Für einen Moment herrschte Ruhe. Wir standen vor einer roten Ampel in der Nähe des Obersten Gerichtshofs. Ich bemerkte, dass sich seine angespannten Gesichtsmuskeln etwas lockerten. Vom Rücksitz aus begann ich ihn zu mustern. Er war noch jünger, als ich zunächst gedacht hatte, vielleicht zwanzig, und seine Haare hatten schon seit langer Zeit keinen Kamm mehr gesehen. Nach der Art und Weise, wie er redete, zu urteilen, hatte er wohl keine umfassende Ausbildung erhalten. Wahrscheinlich hatte er sie nach der Grundschule abgebrochen.
Ich bot ihm ein Stück Schokolade an, in der Hoffnung, die gespannte Atmosphäre etwas zu lockern. Als er ablehnte, sagte ich: »Ist doch besser als Zigaretten. Los, nehmen Sie schon!«
Widerwillig nahm er die Schokolade an.
»Warum sind Sie denn bloss so nervös?«, fragte ich.
»Warum denken Sie, dass ich nervös bin?«
»Sagen Sie mir einfach, was los ist.«
Wir waren kurz vor der Auffahrt zur Brücke des 6. Oktober. Viele Leute standen dort und riefen die Namen der Richtungen, in die sie wollten, in der Hoffnung, dass einer anhalten und sie mitnehmen würde. Der Fahrer stellte die Kassette ab, um die Leute besser zu hören: »Imbâba, Warrâk, Bulâk al-Dakrûr â¦Â« Er hielt aber nicht an, sondern fuhr auf die Brücke, auf der sich der Verkehr staute.
Nach langem Schweigen seufzte er und sagte: »Vorhin hat mein Bruder angerufen. Er ist der Einzige in unserer Familie, der es zu was gebracht hat. Mein Bruder ist ein Genie. Er ist Assistent an der Philosophischen Fakultät, am Institut für Soziologie.«
»Sehr gut!«
»Heute hat der Professor, bei dem er seinen Doktor macht, seine Verteidigung schon zum zweiten Mal verschoben. Der Mistkerl piesackt ihn schon seit Jahren so. Und das nur, weil er Christ ist. Die haben sich an der Fakultät zusammengerottet, um jeden zu behindern, der Christ ist.«
Jeder Einwand von meiner Seite hätte bei ihm wohl einen massiven Wutausbruch provoziert. Ãberdies mochte er recht haben, ich hatte Ãhnliches auch schon gehört. Jedenfalls wusste ich nicht, was ich sagen sollte, und schwieg. Hielt den Mund wie alle schweigsamen Leute in unserer Gesellschaft.
57
»Vor diesem Tag zitterte ich vier Monate lang. Tag für Tag sagte ich zu mir: Noch fünfzig Tage, noch fünfundvierzig Tage ⦠Es war wie ein Albtraum, der mich plagte, wie ein Fluch, dem ich nicht entkommen konnte. Wissen Sie, der Taxiführerschein muss alle drei Jahre erneuert werden. Was man in diesen Tagen durchmacht, streicht man am besten jedes Mal schnellstens aus seiner Erinnerung. Die drei Jahre danach vergehen wie im Fluge, und schon geht das Ganze von vorne los, und man ist völlig hilflos.
Ich werde Ihnen, mein Herr, von der Tortur erzählen, die ich ertragen musste. Bis wir in Schubra ankommen, ist die Geschichte zu Ende, und so vertreiben wir uns die Zeit.
Ich fuhr also zum Verkehrsamt in Madînat al-Salâm. Ich wohne in Dar al-Salâm. Beide Namen bedeuten âºFriedenâ¹, aber um von mir zum Verkehrsamt zu kommen, muss ich mit drei verschiedenen Buslinien fahren, das bedeutet dreimal Streit und dauert mindestens zwei Stunden. Im Verkehrsamt erfuhr ich dann, welche Dokumente ich vorlegen musste: ein polizeiliches Führungszeugnis mit Fingerabdrücken und Foto, eine Bescheinigung der Sozialversicherung, eine von der Gewerkschaft und ein Arztzeugnis.
Natürlich würde man vom Verkehrsamt zur Filiale Bassatîn der Sozialversicherung in Maâdi drei Stunden brauchen, denn das eine liegt ganz im Nordenund die andere ganz im Süden der Stadt. Vor Büroschluss hätte ich das nicht mehr geschafft.
Also fuhr ich am nächsten Tag dorthin. Der Beamte, der für die Bescheinigungen zuständig ist, sagte: âºBezahlen Sie erst, und kommen Sie
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