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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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und Muller war hintendrein getaumelt, über Steinbrocken stolpernd und ein ums andere Mal mit nasaler Stimme die Wildnis verfluchend. Während dieser Stunden verbissenen Marschierens auf abschüssigem Wurzelpfad, der immer tiefer in eine Schlucht hineinführte, zwischen Felswände, die bald schon die Wipfel der höchsten Baumriesen überragten, hätte Helen wohl in einem günstigen Augenblick das Weite suchen können, zumal keiner der beiden Sergeants auch nur einen Blick auf den nutzlosen Pferdeburschen vergeudete. Allerdings hatte Chillhood, ehe sie nach ihrer Rast wieder aufgebrochen waren, ein Seil aus seinem Rucksack gezogen, dessen eines Ende er an seinen Gürtel knüpfte. »Wo willst du die Schlinge spüren, Affe: um den Hals oder -?« Angstvoll hatte Helen auf die Fortsetzung gewartet, aber Chillhood hatte nur aufgelacht und ihr die Schlinge über den Kopf geworfen, wie einem übertölpelten Mondkalb.
    »Der Affenbursche sagt, dein Leben ist 'n einziger Irrtum, Charly«, erklärte Chillhood nun. »Aber er ist bereit dir zu verraten, wie du's besser machen kannst. Hab' ich recht?« Chillhood war stehengeblieben, drei Schritte vor ihnen, keuchend und schweißüberströmt. Nun packte er das Seilende an seinem Gürtel und zog sie mit einem Ruck zu sich her. »Wie also?«
    »N-nein, Sir, das meinte ich nicht«, ächzte Helen. »Bitte verzeihen Sie, ich wollte nur...«
    Eigentlich hatte sie Charles Muller darauf hinweisen wollen, daß nicht Mr. Thompson das Blutbad verschuldet habe, dem Mullers Kamerad im Park von White House erlegen war. Ohne den katergesichtigen Mr. Mortimer und seinen füchsischen Gefährten Mr. Climpsey wäre weder dem Wachsoldaten noch dem Indio auch nur ein Haar gekrümmt worden, hatte sie erklären wollen, immerhin war sie, vielmehr der Pferdebursche Henry, zugegen gewesen und hatte mit eigenen Augen gesehen, wie Mr. Mortimer einen Schuß abgefeuert und seine Pistole sodann Mr. Thompson in die Hand gedrückt hatte.
    Unter dem glitzernden Blick Chillhoods, der sie mit dem Seil immer näher zu sich heranzog, sagte sie jedoch nichts von alledem. Wie hatte sie nur glauben können, daß die Sergeants einem »Affenburschen« wie ihr erlauben würden, sie eines Irrtums zu überführen? Verzweifelt überlegte sie, durch welche harmlose Antwort sie sich noch einmal herauswinden könnte.
    In der Schlucht war es mittlerweile so düster, daß selbst die Umrisse der Bäume und Büsche ringsum verschwammen. Vom blauen Himmel war nur ein schmaler Streifen zu sehen, zwischen den Felswänden, die lotrecht emporwuchsen und sich in schwindelnder Höhe einander entgegenneigten. Ringsum im Unterholz schienen Schatten zu hausen, geflügelte oder tatzenbewehrte Schemen, doch wenn man genauer hinsah, war nichts Verdächtiges zu bemerken, nur bizarre Felsbrocken oder ein abgestorbener Wurzelstrunk.
    »Was für ein Irrtum also, Affenbursche?« Chillhood hatte sie mit dem Seil auf Griffnähe zu sich herangezogen, nun packte er mit seiner linken Hand abermals ihr Kinn und begann ihren Kopf zu schütteln. »Etwa dieser Weg?«
    »J-ja, Sir, ganz genau - der Weg.« Ihre Erleichterung dauerte nur einen Moment.
    »Und das sagst du jetzt, nachdem wir drei Stunden tief in die verdammte Schlucht marschiert sind?« Chillhood zischte es, zwischen zusammengebissenen Zähnen, und dabei zog er Helen mit der Schlinge noch näher zu sich heran.
    »Ich... war nicht sicher, Sir, und ... es war Ihre Entscheidung, diesen Weg...«
    Weiter kam sie nicht. Abermals legte Chillhood eine Hand in ihren Nacken und preßte ihr Gesicht gegen sein schweißnasses Hemd. Sie hielt den Atem an und spürte erstarrend, wie seine andere Hand nach ihrer Gürtelschärpe griff.
    »Meine Entscheidung«, keuchte Dickie Chillhood, »wir werden ja sehen... du dreckiger kleiner...« Sein Gestammel ging in heiseres Hecheln über, während seine Rechte immer roher an Henrys Kleidungsstücken zerrte.
    Helens Gesicht wurde in Chillhoods fleischigen Rumpf gedrückt, mit erstickender Gewalt. Irgendwo hinter sich hörte sie Sergeant Muller, der mit ängstlichem Näseln »Dickie, Dickie« rief. Doch der keuchende Chillhood schien nichts mehr wahrzunehmen außer dem »Affenburschen«, an dessen textiler Umhüllung er zerrte.
    Auf einmal ging ein Stück Stoff zuschanden, mit scharfem Reißgeräusch. Fast im selben Moment biß Helen, ohne sich zu besinnen, aus voller Kraft in Sergeant Chillhoods fettige Brust.
    Der Held Britanniens stieß einen Schrei aus, ein hochtöniges

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