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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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wieder erlahmen würde. Der Sergeant saß zwei Schritte links von ihr und beobachtete sie unverwandt, nicht verstohlen, sondern mit herausfordernder Offenheit. Ihr Herz begann heftig zu schlagen, als ihr auf einmal klar wurde, daß er die Abwesenheit seines Kameraden ausnutzen und sich diesmal nicht damit begnügen würde, sie auszuhorchen und ein wenig zu demütigen.
    Helen zwang sich, ihren Kopf zu heben und seinen Blick zu erwidern. Kommen Sie zurück, Sergeant Muller, dachte sie, um Gottes willen, beeilen Sie sich. In Chillhoods Augen glitzerte eine Verschlagenheit, ja Verrücktheit, die sie mit lähmender Angst erfüllte, einer Angst wie aus den tiefsten Tiefen der Kindheit.
    »Komm her, Affenbursche«, sagte Chillhood. Sogar seine Stimme klang verändert: brüchiger und eine Spur schrill. »Na mach schon, hopp!« Dazu klopfte er mit der Hand auf seinen stämmigen Schenkel und nickte ihr mit starrer Miene zu.
    Was um alles in der Welt hatte er vor mit ihr? Hatte er etwa bemerkt, wie es sich tatsächlich mit Henry O'Rooney verhielt?
    »Sie meinen, Sir...?«
    Da Chillhood ihr abermals zunickte, blieb Helen nichts anderes übrig, als sich von ihrem Stein zu erheben und auf ihn zuzugehen, so langsam wie irgend möglich. Aber sie hatte kaum ihren zweiten Schritt begonnen, da beugte sich Chillhood vor, packte sie ohne weiteres um die Hüften und zog Henry O'Rooney zwischen seine gespreizten Schenkel. ;••.
    »Bitte, Sir, nicht...«
    Der Schweißgeruch seines Körpers, wenige Zoll vor ihrer Nase, verschlug ihr fast den Atem. Vergeblich versuchte sie sich aus der Umklammerung seines Armes zu befreien, der wie ein eisernes Band ihre Hüften umschloß.
    Richard Chillhood legte ihr eine Hand in den Nacken und zog ihren Kopf noch näher zu sich heran. »Rat mal, warum ich Dickie genannt werde.« Er keuchte. Seine Lippen bewegten sich an ihrem rechten Ohr, sein feuchter Atem besprühte ihre Haut.
    »Na, sag schon«, drängte er. Seine Rechte rutschte tiefer, mit Daumen und Zeigefinger kniff er sie kräftig in ihre verlängerte Rückenpartie. »Ist eigentlich ganz einfach, Affenbursche«, raunte der Sergeant mit heiserer Stimme, und in diesem Moment wurde Helen klar, daß Richard Chillhood sie ganz und gar nicht für eine Frau hielt.
    Sie wollte aufschreien, doch ihr Schrei erstickte an Chillhoods schweißnasser Brust. Wie erstarrt stand sie im Schraubstock seiner Schenkel, während Chillhoods Finger wie ein riesiges Insekt über ihren Rücken, ihre Beine liefen und sie ein ums andere Mal kräftig kniffen.
    Auf einmal sprang der Schraubstock auf. Im gleichen Augenblick wurde sie nach hinten geschleudert, so kraftvoll und unerwartet, daß sie den Halt verlor und rücklings zu Boden fiel. Ein heftiger Schmerz zuckte durch ihren Kopf, und sie schloß die Augen und beschwor sich, um Himmels willen nicht das Bewußtsein zu verlieren.
    »Dieser verdammte kleine Bursche hat versucht auszureißen«, hörte sie Chillhoods Stimme. Als sie die Augen wieder öffnete, standen beide Soldaten über sie gebeugt. »Aber ich hab' den Affen beim Schwanz gepackt«, fuhr Richard Chillhood fort, und das verrückte Glitzern in seinen Augen verhieß, daß er mit Henry O'Rooney noch längst nicht fertig war.
    Die Gesichter der beiden Soldaten tanzten über ihr, schwankend wie Lampions im Wind. »Ich bin's, Sergeant«, murmelte Helen, »Miss Harmess... bitte helfen Sie mir...«
    Charles Muller runzelte die Stirn und sah von dem im Schlamm liegenden Pferdeburschen zu Chillhood. »Was brabbelt der Dreckskerl, Dickie?«
    Chillhood wendete ihnen bereits den Rücken zu. »Spielt keine Rolle, Charly.« Sein Wasserstrahl gischtete gegen den Felsbrocken, auf dem vorhin Henry O'Rooney gesessen hatte.
    »Wenn der kleine Affe nicht spurt, wird er ersäuft.« Er nestelte an seiner Hose und wandte sich um. »Und wenn doch, dann auch.«

3
     
     
    »Entschuldigen Sie, Sir - wenn ich Sie auf einen Irrtum hinweisen dürfte...«
    Verständnislos blinzelte Charles Muller aus seiner Höhe von sechs Fuß zu ihr herab. Der junge Sergeant schien am Ende seiner Kräfte. Er bewegte sich nur noch wankend, in hellen Bächen lief ihm der Schweiß über das Gesicht. »Was ist los? Dickie, was will der Kerl?«
    Spätestens in diesem Moment, da sich Richard Chillhood zu ihnen umwandte, wurde Helen bewußt, daß sie besser den Mund gehalten hätte. Seit sie auf den von Chillhood bestimmten Pfad gen Westen abgebogen waren, hatte der stämmige Sergeant die Führung übernommen,

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