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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Bachbett, das sich schmal und schlammig durchs Dickicht wand.
    »Da geht's nach Norden«, mischte sich Charles Muller ein. Beim vertrauten Klang seiner näselnden Stimme fuhr Helen zusammen.
    »Wenn du uns an der Nase rumführen willst...« Chillhood packte ihr Kinn und begann ihren Kopf zu schütteln. »Wäre schade um das niedliche Affenfrätzchen.«
    »Nach Norden, Sir... ganz genau«, ächzte Henry. »Aber nur... ein paar Meilen... dann wieder... nach Westen und...«
    »Na, dann machen wir doch diesen kleinen Spaziergang«, sagte Sergeant Chillhood in munterem Tonfall.
    Er stand auf, ohne ihr Kinn loszulassen, und Helen sputete sich, neben ihm auf die Beine zu kommen. Chillhood versetzte ihr einen Stoß, so daß sie vorantappte, den glitschigen Hang hinab, drei Schritte vor den beiden Männern und schwindlig vor Angst.
    Was sollte sie nur machen, wenn die Soldaten ihr auf die Schliche kamen? Wie nur konnte sie die beiden von Mr. Thompsons Spur abbringen? Und was um Himmels willen konnte sie unternehmen, um Robert Thompson zu retten, falls auch er in die Hände der Indios gefallen war? Verzweifelt überlegte sie hin und her und kam doch zu keinem Ergebnis. Sie wußte nicht einmal, welchem Ziel Mr. Thompson und seine Gefährten überhaupt entgegenstrebten. Aus ihren Gesprächen hatte sie lediglich entnehmen können, daß dieses Ziel, eine Ruinenstadt aus vorchristlicher Zeit, weit im Westen lag, nahe der Grenze zu Guatemala. Sie rief sich die Karte ins Gedächtnis, die Mr. Sutherland ihr damals in seiner Bibliothek gezeigt hatte, und unterdrückte einen Seufzer. Auf dem Militärplan hatte nur ein einziger Weg westwärts durch den Dschungel geführt, und falls Mr. Thompson und die Seinen nicht in die Hände der Indios gefallen waren, würden auch sie auf diesem Weg weiter gen Westen ziehen. Ebenso wie ihre beiden Begleiter, sagte sich Helen, die Soldaten in ihrem Rücken, die darauf bestehen würden, so rasch wie möglich auf den befestigten Pfad zurückzukehren.
    Keuchend arbeiteten sich die Männer hinter ihr durchs Unterholz, mit stampfe nden Schritten. Obwohl nur spärliche Sonnenstrahlen durch die Baumwipfel drangen, herrschte eine stickige Schwüle, und von dem morastigen Boden ging ein Fäulnisgeruch aus, der das Atmen erschwerte. Für einen schwerknochigen Mann wie Richard Chillhood mußte dieser Marsch eine Marter sein, dachte Helen nicht ohne Schadenfreude, und kaum besser erging es offenbar dem schlaksigen Charles Muller, der immer wieder über Steinbrocken oder Wurzelstücke stolperte.
    Dagegen huschte sie selbst nahezu lautlos über Laub und Zweige, und auch wenn ihre Lage, nüchtern besehen, nahezu hoffnungslos war, schien etwas - oder jemand - in ihr diesen »kleinen Spaziergang« überaus zu genießen. Die India in mir, dachte Helen, mein zweites Ich, meine innere Doppelgängerin, die mir selbst und aller Welt so lange verborgen war. Wie sonst könnte ich mich so traumhaft sicher durch diese Wildnis bewegen? Wie sonst hätte ich letzte Nacht vom Dorf meiner Mutter träumen können - wenn nicht, weil diese Erinnerungen so viele Jahre lang in mir geschlummert haben? Aber was hat es nur zu bedeuten, dachte sie dann wieder, daß ich in diesem Traum auf einmal mich selbst und Robert Thompson sah, er tot und ich vor Gram vergehend?
    »Das reicht jetzt«, sagte hinter ihr Sergeant Chillhood. »Wir sind mindestens drei Meilen nach Norden marschiert. Da vorn öffnet sich ein Pfad im Dickicht, den nehmen wir und schwenken wieder nach Westen.«
    »Zuerst eine Pause, Dickie, ich fleh' dich an.« Noch während Sergeant Muller seine Bitte hervornäselte, sank er auf einen der großen Steinbrocken, die zwischen glattstämmigen Zapotebäumen verstreut lagen, mit Moos überzogen. Der Schweiß stand Charles Muller auf der bleichen Stirn, und als er seine Mütze vom Kopf nahm, waren auch seine rötlichen Haare tropfnaß und gedunkelt vor Schweiß.
    »Meinetwegen, aber nur 'n paar Minuten.« Auch Chillhood wirkte reichlich mitgenommen, sein feistes Gesicht brennend rot, sein Khakihemd auf dem Rücken und unter den Achseln dunkel verfärbt. Er sackte neben Muller auf einen Felsbrocken.
    »Wenn ich diesen Thompson am Kragen hab', nehm' ich meinen Abschied. Wird mir einfach zu aufreibend, bei der verfluchten Hitze über Stock und Stein hinter solchen Kerlen herzustolpern.«
    »Aufreibend ist gut.« Muller warf hektische Blicke ins umliegende Buschwerk. »Wenn ich geahnt hätte, zu was diese Wilden imstande sind... Wär'

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