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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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konnten, bis die ärgste Mittagshitze gebrochen wäre, doch weitere Zugeständnisse hatte der alte Priester abgelehnt.
    Neben Stephen und Miriam saß er im Schatten einiger junger Palmen, am Rand der Lichtung, ermattet, aber für den Augenblick zufrieden. Aus frischen Ästen und Zweigen hatten Mabo und Ajkech eine Bahre geflochten, auf der Paul seither ruhte, einige Schritte abseits von ihnen, in reinlichem neuen Gewand und in tiefem Schlaf. Ein Blick in sein erschöpftes, doch auch entspanntes Gesicht und auf seine nun wieder magere Gestalt genügte, um zu wissen, daß er wahrhaftig gerettet war. Tatsächlich, dachte Robert, hatte der alte Priester vorhin immer wieder » Much, much « gemurmelt, während er das Gift aus Pauls Leib herausgepreßt hatte, denn sein Gegenzauber trug, wie er bereitwillig erläutert hatte, den Namen Much t'at'ara'atnak , »herausspringende Kröte«. Robert war sich noch immer nicht schlüssig, wie er den rettenden Eingriff einschätzen sollte, ob als nüchterne Heiltechnik oder als magisches Spektakel. Tatsache war jedenfalls auch, daß sie selbst Pauls Leben nicht mehr hätten retten können, weder mit dem Messer noch mit Stephens Tinkturen.
    Ein leichter Wind wehte über die Lichtung und bewegte die Seerosenblätter auf dem Teich. Wieder empfand er, was für ein friedlicher Ort diese Stätte des Jaguargottes war, oder zumindest sein konnte. Unweit von ihnen grasten ihre Pferde, und selbst die gescheckten Schatten, die von den Ufern her über den Pla tz huschten, wirkten heute kaum mehr bedrohlich, sowenig wie die Gruppe phantastisch bemalter Jaguarpriester, die sich am anderen Ende des Platzes zu schaffen machten, unweit einer kleinen Hütte, die dort zwischen Weidengeäst hervorsah. Kurz schaute er über die Schulter zurück. Einige Schritte hinter ihm, kaum sichtbar im Schatten, saß Ja'much auf einem Stein, umgeben von seinen jungen Priestern, die auf ihren Unterschenkeln hockten, reglos wie Pilze. Wären nicht die furchtbare Prophezeiung, dachte Robert, und seine angebliche Ähnlichkeit mit dem unseligen »Götterboten«, den es vor zweihundert Jahren nach Tayasal verschlagen hatte, er wäre ja fast schon am Ziel seiner Träume, tief in der wundersamen Welt, nach der er sich seit so langer Zeit sehnte.
    Einmal mehr schweiften seine Gedanken zu der schönen India. Mein süßes Mysterium, dachte er, das ich gewiß auch bald entschleiern werde. Wie die junge Mayafrau ihm an so verschiedenen Orten wie Fort George und Chul Ja' Mukal erscheinen konnte, war ihm nach wie vor unbegreiflich, und noch immer hoffte er, daß er ihre Züge erblicken würde, wenn er nur eines Tages in das Gesicht der braunen Gestalt sehen könnte, die in jedem seiner Flußträume bei ihm im Kanu saß. Oder war sie ohnehin nur eine Erscheinung aus seinen Träumen, hatte er sie womöglich nie in Wirklichkeit gesehen? In Fort George war er ihr in die Gasse der Elenden gefolgt, und im unterirdischen Tempel Cha'acs hatte er sie in einer Wandnische erspäht. Doch in beiden Fällen war ungewiß geblieben, ob sie wahrha ftig zugegen war oder nur als Wunschbild seiner Phantasie. Selbst auf meiner eignen Skizze, dachte er ernüchtert, glaubte ich ihre Silhouette zu erkennen, in dem langgestreckten Schattenfleck, den die Palmen auf das Grasstück im Park des Gouverneurs warfen. Bewies das nicht, daß er einfach nach der törichten Art von Verliebten in allem und jedem die Spur der Schönen zu erkennen glaubte, die sein Herz verzaubert hatte?
    Aber wie kann ich mich in sie vergafft haben, dachte er dann wieder, wenn sie doch nur in meiner Einbildung existiert?
    Er sann darüber nach und war sich zugleich die ganze Zeit über bewußt, daß Miriam auf einem Steinbrocken zu seiner Rechten saß. Unverwandt sah sie ihn an, oder doch so nahe an ihm vorbei, daß er ihren Blick auf seiner Seite spürte. Neben ihr saß Stephen, mit hängendem Kopf, von dem Erlebten offenbar noch immer erschüttert. Mehrere Male hatte Miriam das Wort an ihn gerichtet, doch Stephen hatte nur flüchtig aufgesehen, mit abwesendem Blick, und sich gleich wieder abgewendet, ohne etwas zu erwidern.
    Das Rätsel der jungen India ließ Robert keine Ruhe, und der Gedanke an seine Skizzen, die er Tag um Tag im Park des Gouverneurs angefertigt hatte, weckte in ihm die Lust, zumindest einige Striche aufs Papier zu werfen. Tatsächlich hatten Henry und Mabo seine Schultertasche durch alle Unwetter und sonstigen Katastrophen gerettet, so daß er sich nur ein wenig

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