Im Tempel des Regengottes
schimmernden Zähne zu sehen waren.
»Dann wäre auch sie zurückgekehrt?« rief der Regengottpriester. »Ixkukul, die oberste Priesterin der Mondgöttin Ixquic... Davon hat keine Prophezeiung jemals...« Er hielt inne, mit mahlenden Kiefern, und sein Blick bohrte sich in Roberts Augen. »Ein weiteres Versagen, das du nicht wiederholen solltest«, fuhr er fort, mit erzwungener Ruhe und vollkommen rätselhafterweise, wie Robert dachte. »Laß dich warnen, Bote der Götter: Versuche nicht wieder, ein Bündnis gegen die Priester Cha'acs zu knüpfen - diesmal werden wir wachsam sein.«
5
Gedankenverloren sah er Ja'much nach, der sich umgewandt hatte und mit raschen Schritten in den Wald hineinging, auf den Tempel des Chilam Balam zu. Die sechs jungen Priester Cha'acs waren am Rand der Licht ung zurückgeblieben, mit wachsamen Mienen, Speere oder Äxte in den Händen, und beobachteten Robert, Miriam und Stephen, die noch immer auf den Steinbrocken unter den Palmen saßen. Überall zwischen den Bäumen bemerkte er nun auch Jaguarpriester, halb verdeckt durch Gestrüpp und Blattwerk, ihre sehnigen Leiber wie zum Sprung geduckt. Es mußten Dutzende sein, der ganze Wald ringsum war voller Krieger in phantastischer Maskerade, alle zu unserer Bewachung, sagte sich Robert, dabei war ihm der Gedanke zu fliehen niemals ferner gewesen als in diesem Moment.
Wie kann es nur sein, überlegte er wieder und wieder, ihr steinernes Bildnis neben der Stele mit meinen Zügen und beide fast zweihundert Jahre alt? Sollte es das alles doch wirklich geben: Götter, Schicksal, Wiedergeburt? Ihm selbst hatten Glaubenssätze immer Unbehagen bereitet, allerdings hatte er sich auch mit den Verheißungen der Kirchen niemals näher beschäftigt. Schon als Knabe war ihm der Gott der Christenheit höchst fragwürdig erschienen, die harsche Moral ebenso wie der hoffärtige Jähzorn des obersten Himmelsherrn. Später, als seine Begeisterung für die Welt der Maya erwacht war, hatte er zahlreiche Bücher gelesen, in denen barmherzige Franziskaner und ehrwürdige Bischöfe die Konquista der Spanier verteid igten, ja verherrlichten, das Jahrhunderte währende Abschlachten der Maya, die Plünderung ihrer Städte, die Vernichtung ihrer Kultur. Denn dies alles war zum Wohle des Herrn geschehen, unter der Fahne des Christengottes, dem Gesänge der Liebe und Vergebung von den Lippen troffen, während er Tod und Verderben säte, mit Faust und Feuer, Predigt und Schwert.
So tief in Gedanken versunken saß Robert unter den Palmen, daß er nur am Rande wahrnahm, wie Stephen sich erhob und Mabo zu sich winkte, wie der Mestize gesenkten Kopfes seine Befehle entgegennahm und sich gleich darauf an ihren Packstücken zu schaffen machte. Auch die Priester in den grauen Tuniken hatten längst mit den Vorbereitungen für ihren Abmarsch begonnen. Sie füllten ihre Wasserschläuche, und eben kamen drei junge Jaguarmänner herbei, um den Priestern Cha'acs in Leinen gewickelte Packen zu überreichen, aus denen ein Geruch nach Tortillas und gebratenem Hühnerfleisch aufstieg.
Abermals hatte Robert das Gefühl, von einem Traum umfangen zu sein. So intensiv er alle Sinneseindrücke wahrnahm, den Duft der Speisen, die huschenden Jaguarpriester, die scharrenden Pferde, Miriams Lächeln, das leise Seufzen Pauls, der sich im Schlaf auf seiner Bahre regte, so unwirklich schien ihm das alles, voll unentwirrbarer Bedeutungen, wie Szenen aus einem Traumtheater.
Konnte es nicht sein, dachte er auf einmal, daß es sich mit dem Glauben der Maya anders verhielt als mit den Vorspiegelungen der christlichen Kirche, daß sie wahrhaftig noch in Verbindung mit dem Übernatürlichen standen und in ihren Ritualen sich die verborgenen Gewalten offenbarten? Denn wie anders ließ sich erklären, daß ihre Seher vor vielen hundert Jahren die Wiederkehr eines Götterboten prophezeit hatten, der ihm selbst nach Gesicht und Gestalt vollkommen glich? Und nun zeigte sich auch noch, daß von der jungen India gleichfalls ein steinernes Bildnis existierte, neben dem seinen bei Kantunmak! Flüchtig ging ihm durch den Sinn, daß hier ein abergläubischer Irrtum den zweiten nach sich gezogen haben konnt e, die angebliche Gleichheit sich in beiden Fällen auf allgemeine Merkmale beschränken mochte, Ähnlichkeit des
Wuchses, vielleicht sogar nur der Haar-oder Barttracht. Doch er verwarf diesen Gedanken gleich wieder, schließlich erklärte es nicht, wie ihm die junge India immer wieder erscheinen
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