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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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nicht mehr über sich, Ajkinsaj in die Augen zu sehen. Statt dessen schaute er unverwandt auf den roten Stab, den der oberste Priester anklagend schwenkte, ein Knochen, dachte er wieder, ein Kinderarm.
    »Zurückgekehrt, Ajpoch' Maya'ib, um die Plünderung unserer Städte zu rächen, den Raub unserer kostbarsten Götterbilder, die bleiche Habgier, der nur die Schätze Tayasals nicht zum Opfer fielen?« Der rote Stab zuckte in Ajkinsajs Hand.
    »Zurückgekehrt, Ajpoch' Maya'ib, um zwanzigmal zwanzigtausend unserer Frauen und Mädchen zu rächen, die von den fahlhäutigen Eindringlingen entehrt und geschändet worden sind?«
    Frage um Frage schleuderte Ajkinsaj auf ihn herab, und Robert nickte jedesmal, kaum daß Henry die Anklage übersetzt hatte. Noch immer spürte er den schmerzhaften Krampf in seinem Nacken, der auf seine Schultern ausstrahlte, obwohl er seinen Kopf längst wieder gesenkt hatte. Wie ein Verworfener, der furchtbarsten Greuel schuldig, stand er vor dem schwarzen Podest, mit dem Blut der Maya besudelt, erfüllt von Grauen und seine Schultern gebeugt unter einer Last, die mit jeder Anklage noch schwerer wurde.

7
     
     
    »Damals glaubten wir dir, Bote der Götter.«
    Erstaunt blickte Robert auf. Die Stimme drang vom Thronpodest herab, doch es war nicht der kraftvolle Bariton Ajkinsajs, sondern eine viel jüngere Stimme, die dünn und eintönig klang. Reglos saß Ajkinsaj dort oben auf seinem Thron, einem gewaltigen grauen Felsblock, der nach Form und Farbe tatsächlich einer Regenwolke ähnelte. Der kleinere Thron zu seiner Linken war noch immer leer, doch auf dem Sessel zu seiner Rechten saß nun ein schmaler Jüngling, fast ein Knabe noch, schmalschultrig, in goldgelber Tunika.
    »Die Priesterschaft Ahaus, des mächtigen Sonnengottes, schenkte dir ihr Vertrauen.« Der junge Priester sprach mit leiernder Stimme, und sein Blick ging durch Robert hindurch.
    Mittlerweile fühlte er sich so erschöpft und benommen, daß sein Verstand kaum mehr zu erfassen vermochte, was seine Sinne ihm zutrugen. Wie hatte der Sonnengottpriester das Thronpodest überha upt erklommen? Es erstreckte sich über die gesamte Breite der Stirnwand, von der rechten Mauer bis zu dem Kamin oder Ofen linker Hand. Anscheinend konnte man nur vom Saal her hinaufgelangen, doch eine Treppe war nirgends zu sehen. Demnach mußte es im Boden des Podestes, überlegte er mühsam, einen von hier unten aus unsichtbaren Einlaß geben, durch den die Würdenträger das Podest betraten und wieder verließen.
    »Doch der Lahkin von Tayasal, der oberste Sonnengottpriester, wurde schrecklich getäuscht«, fuhr der junge Priester fort, mit eintöniger Stimme, als sage er eingelernte Sätze auf. »Der Zorn der Götter über die Mißachtung des kosmischen Gesetzes hat das letzte Reich der Maya zermalmt und die wenigen Überlebenden in den Wäldern zerstreut.«
    Henry übersetzte, und Robert sah, dumpf vor Müdigkeit, in sein braunes, fast mädchenhaft anmutiges Gesicht hinab, die dunklen Augen, die sich immer mehr zu weiten schienen. Während er noch überlegte, ob und was er antworten sollte, erklang eine weitere Stimme vom Thronpodest herab, noch dünner und leiernder als die Stimme des jungen Sonnenpriesters.
    »Damals setzten wir alle Hoffnung auf dich, Bote der Götter.« Es war eine weibliche Stimme, und für einen winzigen Moment flackerte in ihm die Hoffnung auf, daß sie es sein könnte, sie, Ixkukul, die von dort oben herab mit ihm sprach. Um so gräßlicher erschrak er, als er dann aufsah und die Frau erblickte, die zur Linken Ajkinsajs auf dem niedrigen Thronsessel saß. Sie trug eine silberfarbene Tunika, das Gewand der Mondpriesterinnen, wie er vermutete. Doch das schimmernde Tuch vermochte ihre unförmige Gestalt nicht zu verbergen, den plumpen Leib einer Matrone. Aufgedunsen war auch ihr Gesicht, das in der Tat einem Vollmond ähnelte, rund und ausdruckslos, eine fahle Scheibe, darin die stieren, wie mit Nebel verhängten Augen, die gleichgültig auf ihn herabsahen. Eine Idiotin, dachte Robert, jedenfalls eine willenlose Marionette des einzig wahren Herrschers, ebenso wie der kindliche Sonnenpriester, der mit einem leeren Ausdruck in den Saal hinabsah, als wäre ihm kaum bewußt, welche Rolle ihm zugefallen war.
    »Die Priesterschaft Ixquics, unserer Mondgöttin«, leierte die Idiotin, »schenkte dir ihr Vertrauen. Aber sie wurde schrecklich getäuscht. Der Zorn der Götter über die Mißachtung des kosmischen Gesetzes hat das letzte

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