Im Tempel des Regengottes
Reich der Maya zertrümmert und die wenigen Überlebenden in den Wäldern zerstreut.«
Es waren nahezu dieselben Worte, die auch der junge Sonnengottpriester heruntergeleiert hatte, dachte Robert, eingelernte Sätze, die nur einem Zweck zu dienen schienen: der Unterwerfung beider Priesterschaften, der Sonnen-und der Mondgottpriester, unter die Macht des obersten Regengottpriesters Ajkinsaj.
»Aber nun bist du zurückgekehrt, Ajpoch' Maya'ib, um wiedergutzumachen, was die Maya durch deine Schuld erlitten haben.« Das war erneut Ajkmsajs Stimme, kraftvoll, nun jedoch mit lauerndem Unterton. Er beugte sich auf seinem Thron weit nach vorn und deutete mit dem roten Knochenstab auf ihn.
»Womit wirst du diesmal dein wundersames Werk beginnen, Bote der Götter? Wirst du als erstes unsere Söhne rächen, die von den fahlhäutigen Eindringlingen zu Tausenden verstümmelt und getötet werden Jahr um Jahr? Unsere herrlichen Söhne, die in den Wäldern zerquetschte, an den Flüssen zerdrückte Hoffnung unsres Volkes - wirst du sie rächen?« Ajkinsaj schrie jetzt, und als er zum zweiten Mal Söhne ausrief, Taatim, riß er beide Arme empor, und im gleichen Moment flammten Hunderte Fackeln auf, ringsum an den Wänden des riesigen Saals.
Robert fuhr herum, von dem flackernden Licht geblendet und im ersten Moment zu erschrocken, um zu begreifen, was er vor sich sah. Er blinzelte und rieb sich die Augen, und dann knirschte er mit den Zähnen und stöhnte vor Entsetzen auf. Der Boden des ganzen weiten Saales, dreißig Schritte in der Breite und noch einmal so viele bis zur Tür, war mit braunen Körpern übersät. Unnatürlich starr hockten oder lagen sie da, auf dem verwitterten, abgetretenen Mosaikboden, Dutzende, Hunderte regloser Mayajungen, nackt bis auf den Schurz des Kriegers oder Jägers. Starr waren auch ihre schwarzen Augen, die allesamt auf ihn gerichtet waren, und sie alle, alle waren so gräßlich verstümmelt, daß es Robert das Herz zusammenzog. Sein Blick hastete durch den Saal, doch wohin er auch schaute, überall sah er nur abgequetschte Schenkelstümpfe, zerdrückte Arme, blutverkrustete Wunden wie in den abscheulichsten Höllenvisionen nazarenischer Kirchenmaler.
Voller Entsetzen sah er um sich, stumm wie die Gefährten, die zu seinen Seiten und hinter ihm knieten. Qualm stieg von den Fackeln und aus der Feuerstelle auf und zog in grauen Schwaden durch den Saal, über die Hunderte junger, für immer Versehrter und zerstörter Leiber hinweg, die überall reglos am Boden kauerten oder lagen. Es mußten die geraubten Mayajungen sein, dachte er, aus Victoria Camp und anderen Holzfällerlagern, die von Ajkinsajs Kriegern befreit und nach Kantunmak gebracht worden waren.
Aber weshalb hatte Ajkinsaj all die verstümmelten Jungen in seinem Thronsaal versammeln lassen? Was um Himmels willen, dachte Robert, erwarteten sie nun von ihm?
Während er noch darüber nachsann, richtete Ajkinsaj abermals das Wort an ihn. »Womit wirst du dein Werk beginnen, Ajb'isäj-ju'um d'ojis«, fragte er aufs neue, »wirst du unsere herrlichen Söhne heilen? Unsere verstümmelten, niedergetrampelte Zukunft - wirst du sie wieder aufrichten?«
Langsam wie im Traum wandte sich Robert um und legte aufs neue den Kopf in den Nacken, um zu Ajkinsaj aufzusehen. Totenstill war es in dem riesigen Saal, und alle Augen waren auf ihn gerichtet, die starren Augen der verstümmelten Jungen und die ebenso reglosen Blicke der Hunderte erwachsener Priester Cha'acs, die entlang der Wände aufgereiht standen.
»Nein«, sagte Robert leise, »diese Macht wurde mir nicht verliehen. Ich bin nicht gekommen, um zu heilen...« Er verstummte und sah um sich, in Henrys Gesicht hinab und zu den Gefährten, die hinter ihm knieten, und für einen Augenblick war ihm, als erwache er nun wahrhaftig aus einem langen, ausweglosen Traum. Doch der Moment ging vorüber, und so sprach Robert weiter: »... sondern um euch in den Kampf zu führen.«
Und mich selbst in den Tod.
8
Es war mehr ein Kerker als eine Schlafkammer, unwürdig eines Götterboten und seiner Begleiter, aber sie alle waren viel zu entkräftet, um sich gegen die Befehle der grauen Priester aufzulehnen. Der Raum mochte acht auf acht Schritte messen, so würden sie zumindest nicht zu beengt sein, selbst wenn sie etliche Tage hier drinnen ausharren müßten. Allerdings gab es keinerlei Fenster, nicht durch die kleinste Ritze drang natürliches Licht ein, und den bemoosten Bodenfliesen entströmte ein
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