Im Tempel des Regengottes
Schultern lösend, vor der Schwelle stehenblieb. Undeutlich erkannte er die Umrisse eines riesigen Saals, der von fahlem Licht erfüllt war. In der vorderen Hälfte schienen sich zahlreiche Menschen aufzuhalten, Schemen im Halbdunkel, am Boden kauernd oder liegend, allesamt unnatürlich starr. Weit hinten aber, an der Stirnwand, erhob sich ein funkelnd schwarzes Podest, acht Fuß hoch und von der Breite des gesamten Saals. Drei Throne standen darauf, die kleineren links und rechts beide verwaist. In der Mitte jedoch ragte ein Sockel empor, nebelgrau und sonderbar formlos. Eine wuchtige Gestalt hockte darauf, in grauer Tunika, in der Hand einen glänzend roten Stab, lang und dick wie ein Kinderarm.
Robert starrte zu der thronenden Gestalt hinüber. Aus dieser Entfernung, dreißig Schritte oder mehr, und in dem düsteren Licht waren keinerlei Einzelheiten zu erkennen, doch für einen Moment hatte er tatsächlich geglaubt, daß dort auf dem nebelgrauen Thron niemand anderes als Enrico Grimaldi säße. Verwirrt sann er darüber nach, benommen vor Müdigkeit und vielleicht mehr noch durch den abscheulichen Schmorgeruch, der aus diesem Saal zu kommen schien.
Auf einmal spürte Robert, wie heißer Atem über seine Wange strich. »Na, mach schon, du Götterbote!« flüsterte Stephen und versetzte ihm einen Stoß in den Rücken, daß er zwischen den beiden Wächtern hindurch in den Thronsaal von Ajkinsaj, dem Todbringenden, taumelte.
6
Mit tastenden Schritten ging Robert durch den weiten Saal, auf die Throne im Hintergrund zu. Es war so düster, daß er fürchtete, gegen eine der Gestalten zu treten, die unweit der Tür auf dem Boden lagerten, zu Dutzenden und alle wie Wachspuppen so starr. Während er sich im ungewissen Licht einen Weg suchte, spürte er den Blick des wuchtigen Mannes auf sich, der dort vorn auf dem Thron saß, ein ungemein finsterer Blick, wie ihm schien. Wenn Ajkinsaj ihn für den Boten seiner Götter hielt, zurückgekehrt, um die Maya von Schmach und Ohnmacht zu erlösen, warum fixierte ihn der Herrscher nur derart drohend?
Mit dem linken Fuß streifte er gegen etwas Weiches und zuckte zurück, ein Bein, dachte er, nachgiebiges Fleisch. Ihm war, als hätte dort am Boden jemand leise aufgeseufzt, nicht vor Schmerzen, eher wie in schwerem Schlaf. Vielleicht hatten die Priester auch hier eine betäubende Substanz in die Becher gemischt, wie im Tempel des Chilam Balam? Behutsam tappte er weiter, in seinem Rücken die trappelnden Schritte seiner Gefährten und fünfzig Fuß voraus der hohe Thron, auf dem Ajkinsaj saß, ein wenig vorgebeugt, die kräftigen Arme auf die Schenkel stützend. Wie Robert nun erkannte, ging das fahle Licht, das den Raum dürftig erhellte, von einer Feuerstelle linker Hand der Throne aus, die auch der Quell des ekelhaften Brandgeruchs schien. Es war eher ein Kamin oder Ofen, rund und wuchtig wie ein Turm, aus grauem Stein gemauert, der sich bis zur Decke hinaufzog und in drei oder vier Fuß Höhe zum Saal hin öffnete. Zwei Priester in grauen Gewändern machten sich dort zu schaffen, einer rührte in einem riesigen roten Bottich, der auf dem Feuer stand, der andere öffnete eine Amphore und leerte sie in den gewaltigen, steinernen Trog.
Abermals fühlte Robert an seinem Fuß eine widrige Berührung, beinahe so, als hätte dort unten im Dunkel eine Hand nach seinem Knöchel gepackt. Er taumelte zur Seite, machte einen letzten Schritt nach vorn und trat vor das übermannshohe Podest. Der ganze mächtige Sockel, auf dem sich die Throne erhoben, bestand aus schwarzem Stein, dem gleichen funkelnden Schwarz, dachte er, wie der Altar des Regengottes in der Grotte von Chul Ja' Mukal. Ein Gewirr von Intarsien war in den schwarzen Monolithen eingelassen, goldene Glyphen, verschlungene Linien aus getriebenem Silber, glotzäugige Götterköpfe aus Jade und einem funkelnd roten Stein. Der Geruch von siedendem Fett und schmorendem Fell oder Haar aber war hier vorn noch weit ärger als nahe der Tür. Was mochte es nur sein, das die Priester dort in der Esse kochten oder sotten, und warum ausgerechnet hier im Thronsaal?
Robert legte den Kopf zurück und faßte Ajkinsaj in den Blick. Der oberste Priester Cha'acs und Herrscher von Kantunmak hatte sich noch weiter vorgebeugt und sah finster zu ihm herab. Ajkinsaj d'aantoj . Todbringender Tapir. Er war von bulliger Gestalt, in eine graue Tunika gewandet, auf der ein riesiges Abbild seines Gottes prangte, das runde Gesicht Cha'acs mit der
Weitere Kostenlose Bücher