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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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wird genau so geschehen, wie es vor neun Katun prophezeit worden ist.«
    Helen glaubte einen drohenden Unterton in seiner Stimme wahrzunehmen. Ihr Herz klopfte nun rasch, bis in die Kehle hinauf, aber für Mr. Thompson gab es längst kein Zurück mehr. Ergeben beugte er sich noch tiefer hinab und kroch durch die Maueröffnung in die Finsternis des Jaguartempels hinüber.

4
     
     
    Schwarze Nacht umschloß ihn, wahrhaftig wie in einem Grab. Langsam richtete er sich auf, dabei mit den Händen über sich fühlend, um nicht mit dem Kopf anzustoßen. Doch über ihm war nur leerer Raum, und so streckte er die Arme nach vorn und tappte in der Stockfinsternis behutsam voran.
    Ebensogut hätte er auf dem bemoosten Boden liegen oder hocken bleiben können, unmittelbar hinter der Luke, die sich mit einem Knirschen wieder geschlossen hatte, kaum daß er hindurchgekrochen war. Robert selbst hätte nicht sagen können, was er dort in der Schwärze des Jaguartempels suchte, warum er nicht an einer beliebigen Stelle ruhig wartete, bis die Jaguarpriester mit ihren beinernen Bechern und schwarzen Messern herbeikämen, und vor allem mit Fackeln, um die Tintenschwärze ein wenig aufzuhellen. Irgend etwas trieb ihn voran, eine unbestimmte Ahnung. Seine Füße erfühlten schrundigen Steinboden, mit der linken Hand tastete er sich die Mauer entlang, Schritt um Schritt, bis er irgendwann ins Leere griff. Ein Türloch, er tappte hindurch, über eine hohe Schwelle, doppelt blind durch die Finsternis und seine gänzliche Unkenntnis des Raums, in den er nun einen zögernden Schritt tat.
    Da flammte ein Licht auf, eine kleine Fackel, zehn Schritte fern oder mehr. Die Hände vorgestreckt, tappte er dem Licht entgegen, und auf einmal hämmerte ihm das Herz bis hinauf in die Kehle. Plötzlich spürte er auch die drückend schwüle Luft in diesem Raum, die ihm wie mit heißen, schweißfeuchten Händen über Brust und Wangen strich. Und dann war es keine Luft, sondern wahrhaftig eine Hand auf seinem Arm, und vor ihm im Dunkel, angeleuchtet von der Fackel, schwebte das Gesicht der jungen India. Er hielt den Atem an. Ihre vollen Lippen, furchtsam zusammengepreßt, ihre Mandelaugen unter dem Vogelnest ihrer schwarzen Haare und ihre Hand, vogelleicht und warm, auf seinem Unterarm.
    Auch er hob nun eine Hand, fast ohne es zu bemerken. Er wollte sich vergewissern, auf der Stelle, daß sie es wirklich war, keine Traumerscheinung, kein Spuk. Ihre Schulter berühren, aber seine Hand zitterte, oder das tanzende Licht täuschte ihn, jedenfalls strich er ihr mit der Rechten über die Wange, so leicht und bebend wie mit einer Feder.
    »Ixkukul.« Er flüsterte es, und doch mußte sie ihn gehört haben, denn zu seinem Erstaunen, ja Erschrecken versteifte sie sich und gab zurück:
    »Mein Name ist Ixnaay. Ich bin aus Fort George hierhergekommen, genau wie du.«
    Er starrte sie an, nichts begreifend. Wie jung sie war, wie unglaublich schön. Seine Hand noch immer an ihrer Wange, streichelnd, tastend, über ihre Haut, ihr dichtes, schmiegsames Haar. Er beugte sich hinab, nur ein wenig, sie war beinahe so hochgewachsen wie er. Noch immer lächelte sie, im Licht der Fackel, und Robert sagte in tiefem Erstaunen:
    »Du sprichst Englisch, wie kann das sein?«
    In der völligen Finsterns hinter Ixnaays Rücken hörten sie nun ein leises Trappeln wie von fernen Schritten, und er spürte, wie sie unter seiner Hand erstarrte.
    »Sie suchen mich«, flüsterte sie. »Wir sehen uns wieder, bald.« Flehentlich sah sie ihn an und wollte sich schon abwenden, aber Robert packte sie bei der Schulter und hielt sie fest.
    »Warte.« Er spürte, daß er es nicht ertragen würde, sie wieder zu verlieren, jetzt, da er sie endlich gefunden hatte und ihre warme Haut unter seinen Fingern fühlte. »Warum bist du hierhergekommen wenn du nicht jene Ixkukul bist?«
    »Laß mich!« flüsterte Ixnaay. »Nachher reden wir über alles.«
    Sie löschte die Fackel zwischen ihren Fingern. »Zu spät - laß dir nichts anmerken - ich bleibe bei dir - kein Wort mehr!«
    Bei ihm bleiben? Sechs, sieben, neun Fackeln flackerten hinter ihrem Rücken auf, in ungewisser Entfernung. Ixnaay (falls sie wahrhaftig so hieß) entwand sich seinem Griff und huschte tiefer in den schwarzen Raum hinein, linker Hand von ihm. Immer nä her kamen die trappelnden Schritte, die tanzenden Flammen der Fackeln, die ein fahles Grau in die Dunkelheit mischten. Zu seiner Linken, in drei Fuß Entfernung, erkannte er nun die

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