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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Cha'acs ihn mit so maßlosem, kaum verhohlenem Haß empfangen hatte: weil der Sieg, den die Seher dem Götterboten prophezeiten, ihn, Ajkinsaj, der Alleinherrschaft über Kantunmak berauben würde.

3
     
     
    Die Galerie, durch die Ja'much sie führte, schien die Ka'ana mit den Gebäuden auf der anderen Seite des weiten Platzes zu verbinden. Es war ein schmaler, mit Trümmern übersäter Gang, der rechter Hand zwischen zerbröckelnden Säulen immer wieder Ausblicke auf die gewaltige Ruinenstadt und auf den Platz unter ihnen bot, wo inzwischen Zehntausende Krieger versammelt waren. Ja'much schritt voran, und Mr. Thompson folgte ihm dichtauf, seine Mattigkeit, die Helen vorhin so erschreckt hatte, schien vollständig gewichen, ja regelrecht umgeschlagen. Mit raschen, mühelosen Schritten eilte er hinter dem alten Priester her, offenbar in beschwingter Stimmung, vibrierend vor Energie.
    Neben ihr lief Ajkech, unablässig murmelnd und flüsternd. Es schien Helen, als ob der kleine Krieger sich über irgend etwas ängstigte, aber sein Gewisper war nicht zu verstehen. Den Schluß ihres kleinen Zuges bildeten vier jüngere Priester Cha'acs, die mit Dolchen und Äxten bewaffnet waren. Doch in ihren Gedanken war Helen weit weg von den Priestern und deren Traum, buchstäblich aus Schutt und Trümmern zu alter Pracht wiederaufzuerstehen. Unverwandt blickte sie auf Mr. Thompsons Rücken, der wie eine noch leere Leinwand vor ihr dahinschaukelte, und auf einmal sah sie sich selbst, wie sie bei strahlendem Sonnenschein in einem englischen Hafen von Bord eines Überseedampfers ging. Erfreulicherweise trug sie abermals das cognacfarbene Empirekleid, und während sie den Landungssteg hinunterschritt, lächelte sie bereits zu Robert Thompson hinüber, der am Kai stand, in schwarzem Frack, und ihr erwartungsvoll entgegensah. Helen schwebte förmlich auf den Robert ihres Tagtraums zu, und im gleichen Moment blieb der wirkliche Mr. Thompson vor ihr stehen, so unerwartet, daß sie beinahe gegen seinen Rücken geprallt wäre. Ernüchtert sah sie um sich. Offenbar hatten sie das Ende der Galerie erreicht, jedenfalls befanden sie sich vor einer massiven Mauer, die keinerlei Türloch oder auch nur Durchschlupf aufzuweisen schien. Abermals brach die Menge unter ihnen in melodische Anrufungen aus, und zugleich wurde sich Helen unangenehm bewußt, daß sie in ihrem Tagtraum drauf und dran gewesen war, die erlogene Liebesoper von Mickey O'Rooney und Dorothy Harmess weiterzuspinnen.
    Währenddessen hatte Ja'much bereits einen Befehl erteilt, worauf zwei seiner Priester sich an Mr. Thompson vorbeidrängten und an einer ungefügen Mauerstelle zu schaffen machten. Was genau sie dort taten, war nicht zu erkennen, aber Helen hörte, wie Stein auf Stein knirschte, dann traten sie wieder zur Seite und gaben den Blick auf eine Öffnung in der Mauer frei, kniehoch und eben breit genug, daß sich ein erwachsener Mensch hindurchzwängen konnte.
    Ja'much sah Robert Thompson an, mit düsterem Blick unter den buschigen Augenbrauen. »Der Tempel des Chilam Balam«, sagte er. »Wir hielten es für ratsam, dich fürs erste noch nicht der Menge auszusetzen, Herr.« Er wartete einen Moment, und es schien Helen, als ob in diesen Worten eine Drohung mitschwänge, aber auch das mochte Täuschung sein. »Wie du sicher bemerkt hast«, fuhr der alte Priester fort, »zieht sich der Säulengang über die ganze Breite des heiligen Platzes. Wir befinden uns nun auf dem First der Pyramide gegenüber der Ka'ana. Bitte tritt ein, Herr.«
    Er machte eine einladende Handbewegung zu der Maueröffnung hin. »Wir alle werden hier auf dich warten. Auch deine Diener«, setzte er hinzu, mit einem Blick auf Helen, die sich dicht neben Robert hielt. »Der Tempel darf von niemandem betreten werden, außer von den Jaguarpriestern und ihren Opfern.«
    Helen übersetzte, und ihr entging nicht, daß Robert bei dem Wort »Opfern« zusammenzuckte. Argwöhnisch sah er Ja'much an, doch der war bereits neben das Wandloch getreten, und seine jungen Priester schoben sich nun hinter den Götterboten und drängten ihn, fast ohne ihn zu berühren, auf die steinerne Luke zu. Robert Thompson beugte sich vor und versuchte offenbar hindurchzuspähen, doch aus dem Mauerloch drangen nichts als lichtlose Finsternis und ein leiser, übel vertrauter Geruch nach geronnenem Blut.
    »Tritt nur ein, Götterbote«, sagte Ja'much, »bald werden auch die Jaguarpriester eintreffen und dich auf den Altar strecken. Alles

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