Im Tempel des Regengottes
Wellen, eine nach der anderen, brandeten die Halbkreise der grauen Priester auf ihn zu. »Cha'ac, erhöre unser Flehen! K'ik! Du Herrscher aller Fluten, sieh doch, wir bringen dir ein Opfer dar. K'ik!« Bei jedem »Cha'ac« erklang ein donnernder Trommelschlag, gefolgt von schrillen Flötenpfiffen, die jeweils den tausendstimmigen Schrei untermalten: »K'ik - Blut!«
»Cha'ac, erhöre unser Flehen! K'ik!« Du mächtigster aller Götter, sieh doch, wir bringen dir ein Opfer dar. K'ik!« Immer wenn eine neue Woge gegen Robert anbrandete, rissen sich die voranstürmenden Prie ster die blutig verfärbten Papierbänder aus den Mündern, schwenkten sie über ihren Köpfen und klatschten sie im Anrennen gegen seine Arme oder Brust, Schenkel oder Schultern. Andere wiederum wanden die blutigen Bänder wie Ketten um seinen Hals und um die Stele dazu, oder sie wickelten die leuchtenden Streifen um seine Fußknöchel oder Handgelenke, wie um die ledernen Fesseln auf magische Weise zu verstärken. Doch die Mehrzahl der anbrandenden Priester fixierte die roten Bänder durch kräftige Schläge auf seiner Haut, die bald schon vor Schmerzen brannte, aber mehr noch vor Scham über die entehrende Behandlung, der sie ihn unterwarfen.
»Cha'ac, erhöre unser Flehen! K'ik! Du Beschützer der gerechten Krieger, sieh doch, wir bringen dir ein Opfer dar. K'ik!« Jedesmal, wenn eine Wöge grauer Priester ihre bluttriefenden Bänder um den Götterboten gewunden hatte, wichen sie blitzschnell nach links und rechts zur Seite, wahrhaftig wie wenn eine Welle zu Gischtkaskaden zerstiebt. Kaum einen Lidschlag später brandete schon die nächste Woge gegen ihn an, Dutzende grauer Prie ster, die sich die leuchtenden Streifen aus den Rachen rissen und sie im Anrennen über ihren Köpfen schwenkten, dabei unaufhörlich Anrufungen heulend. Und Robert sah blinzelnd in ihre Gesichter, die durch Ekstase entstellt waren und durch das Opferblut, das noch immer aus ihren Mündern tropfte, ihre gefletschten Zähne färbte und ihnen über Kinn und Kehle troff.
»Cha'ac, erhöre unser Flehen! K'ik! Du Lenker der tödlichen Speere, sieh doch, wir bringen dir ein Opfer dar. K'ik!« Die Rufe der Priester, der Geruch ihres Blutes, ihr unaufhörliches Anbranden, die Trommelschläge und winselnden Flöten, die dampfende Hitze, dies alles vermischte sich für Robert zu einem eintönigen Brausen, in dem er kaum mehr Einzelheiten unterschied. Seine Beine fühlten sich kraftlos an, zusammengesunken hing er an seinem steinernen Ebenbild, nur durch die Lederfesseln noch halbwegs aufrechtgehalten. Benommen sah er um sich, in die gleißende Helligkeit, die blutverschmierten, von Haß und Trance entstellten Gesichter, und da erst begann ihm zu dämmern, wen sie in ihm, dem wiedergekehrten Götterboten, dem mit unsäglicher Schuld Beladenen, sahen und besangen.
»Cha'ac, erhöre unser Flehen! K'ik! Du Verblender der fahlhäutigen Feinde, sieh doch, wir bringen dir ein Opfer dar. K'ik!«. Nur das unaufhörliche Klatschen der Hände überall auf seinem Körper, das Brennen der Scham und der Schmerzen hielten ihn noch halbwegs wach. Selbst die steinerne Säule schien unter den Hieben zu erbeben. Benommen schaute er an sich herunter und sah, daß sein Leib schon über und über mit blutigen Papierfetzen beklebt war, ein fahler Ast voll Laub in welkem Rot. Die Streifen flatterten im Wind, der keinerlei Kühlung brachte, übersät mit einem labyrinthischen Glyphenmuster, dessen Bedeutung er nicht mehr enträtseln würde. Natürlich nicht.
»Cha'ac, erhöre unser Flehen! K'ik! Du Zermalmer der Verzagten und Schwachen, sieh doch, wir bringen dir ein Opfer dar. K'ik!« Die Trommeln donnerten, die beinernen Flöten winselten, längst war die tausendköpfige Menge in die Anrufungen ihrer Priester eingefallen. Sie feierten seine Wiederkehr, gewiß, doch er selbst war nur als Zeichen bedeutsam, er war die Botschaft, nicht der Bote, und schon gar nicht dazu ausersehen, sie als Kriegsherr zu führen, zum glanzvollen Sieg oder in den endgültigen Untergang. Ich bin nur ihre Totemfigur, dachte er, ihr fleischernes Schlachtenbanner, das sie in ihrem heiligen Krieg vor sich hertragen werden, als Unterpfand des prophezeiten Sieges. Ajkinsajs grauen Priester würden ihn in der Schlacht umherze rren und gleichsam wie einen Flaggenstock schwenken, damit die Krieger der Maya ihm arglos folgten. Aber was auch immer der oberste Priester Cha'acs vorhaben mochte, ob er auf Sieg oder Niederlage setzte,
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