Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
Vom Netzwerk:
er unter seinen Füßen mit einem Mal etwas Festes, Kaltes, wie Stöcke und Platten und hölzerne Kugeln, zu einem schütteren Hügel aufgehäuft. Er sank hinein, unter tausendfachem Knacken und Krachen. Je tiefer er kam, desto heller wurde es. Er sah um sich, und da erst erkannte er, wo er sich befand, in einem Berg aus bleichen Gebeinen, einem Turm aus Schenkelknochen, Brustbeinen, Beckentrögen, aus Knie-und Schulterkugeln, einem Wirrwarr schimmernder Rippen, feixender Schädel, die unter seinen Tritten mit trockenem Knirschen zerknackten.
    Es gab nur wenig Luft zwischen den Totenknochen, und sie war staubig und roch nach Verdammnis, aber es war ihm gleich. Seine Brust hob und senkte sich, sein lebendiger Brustkorb drückte morsche Gebeine beiseite, als er seine Lunge mit der Totenluft füllte, wieder und wieder, die ihm köstlicher schien als der erlesenste Trunk. Und er sank tiefer. Die Knochen schrammten über seine Haut und zerbarsten unter seinen Tritten, die Totenköpfe drehten sich träge in den beinernen Wänden, zwischen denen er hinabglitt, dann endlich war er hindurch. Seine Füße tauchten in Wasser, weiches Wasser, warm wie Blut.
    Wieder wunderte er sich, wie damals unter Grimaldis magnetischen Händen, wie es möglich sein sollte, daß der Fluß im Innern toste, unter Haut, Fleisch und Knochen, durch die er hindurchgesunken war. Aber da lag er schon im Wasser, das ihn mit starker Strömung packte, und er schlug mit den Armen um sich und stampfte mit den Beinen, um sich aus der Flut herauszureißen.
    Wie dunkel es hier ist, dachte er dann, als er endlich am trockenen Ufer lag. Er war tropfnaß von Kopf bis Fuß, seine Brust hob und senkte sich stoßweise, und er lauschte dem Strom, der in seinen Ohren toste. Zugleich spürte er immer noch die weiche, schleimige Berührung, das gedunsene Kakaofleisch, wie es sich über ihn gezogen hatte, und dann das Scharren, Kollern und Kratzen der Knochenhaufen, durch die er hindurchgepoltert war. Ixnaay, dachte er, ich habe es geschafft, hier bin ich, am Strom unserer Liebe. Das Herz begann ihm bis zum Hals zu schlagen, er blinzelte in die Nacht, lauschte dem Brausen und ahnte, daß sie ganz in seiner Nähe war.
    Halb war er schon wieder in Schlaf und Traum versunken, als er fühlte, wie sie neben ihn glitt. Ihre Arme, die ihn umschlangen, ihre Lippen auf seinem Mund. Er erschauerte. In seiner Haut, seinem Mund noch die Erinnerung an den kakaohellen Schleim, und sie vermischte sich mit den Berührungen ihrer Hände, ihrer drängenden Zunge, ihres Beines, das sich zwische n seine Schenkel schob. Ganz flüchtig wurde ihm bewußt, daß irgend etwas nicht stimmte, ihre Bewegungen, ihr Geruch, doch er sann nicht weiter darüber nach. Ihre Berührungen waren wie das Streicheln des nachgiebigen Bodens, sein ganzer Körper wurde wieder zur Schlange, zum Bersten gespannt zwischen ihren Händen und zuckend vor Lust.
    »Der Schatz, wo ist er?« Unmöglich, daß sie diese Frage gestellt hatte. »Sag, wie ist der Weg?« Ihre raunende, wispernde Stimme dicht an seinem Ohr. »Das Loch, im Thronpodest.« Er murmelte es, eine Eingebung, vielleicht nur ein Irrtum, und vergaß es gleich wieder, zumal sie nicht noch einmal fragte.
    Wieder wurde er zur Schlange, von Kopf bis Fuß Schlange, die im weichen, dunklen Untergrund versank, kopfüber hinabstoßend, wilder und wilder.
    Auf einmal spürte er, daß der ganze Kakaoberg um ihn herum erschauerte und sich wie in rhythmischen Krämpfen zusammenzog. Tief unter sich sah er den dahintosenden Strom, der im gleichen Moment emporschoß, in steiler Springflut, wie von der Mondkraft gepackt. Da schrie Robert auf, dunkel, tierhaft, heiser vor Angst und Begierde, und während er noch schrie und sich aufbäumte, ging neben ihm ein Licht an, und Henry sagte: »Sir, Sie haben geträum...«, und verstummte, wie auch Robert stumm geworden war und starr in das bleiche Gesicht hinabsah, keine zehn Zoll unter ihm.
    O Gott, es ist Mary, dachte er, es war alles nur ein Traum!
    »Mein lieber Mann«, sagte sie außer Atem. »Hat dir das deine Mondgöttin beigebracht?«
    Robert öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Stumm sah er in ihre grünen Katzenaugen hinab, die hinter der Flut ihres gelösten Blondhaars lauerten, auf ihren weißen, üppigen Leib und das Durcheinander der Packstücke, die unter Miriam und ringsherum auf dem Boden lagen. In seinem Kopf hallte noch sein eigener Schrei, tierhaft dunkel, vibrierend vor Angst und Begierde, und auf seiner

Weitere Kostenlose Bücher