Im Tempel des Regengottes
sie in ihrer überlegenen Höhe und schaute kalt und drohend auf ihn hinab. »Die Götter haben ihren Boten und mich ausgesandt, um euch den Ratschluß der kosmischen Mächte zu offenbaren. Wie kannst du es wagen, den Boten zu fesseln und von deinen Priestern prügeln zu lassen? Wie kannst du dich unterstehen, mir nach dem Leben zu trachten mir, Ixkukul, oberste Priesterin der Mondgöttin Ixquic? Befiehl deinen Häschern, die Dolche zurückzustecken, und befiehl ihnen vor allem, den Götterboten loszubinden - spute dich, ehe der Zorn der Götter euch alle zermalmt!«
Wie verzaubert spähte Robert zu ihr empor. Sein Kopf schmerzte zum Zerspringen, doch ihm war, als ob gerade dieser Schmerz eine magnetische Verbindung zwischen ihm und Ixnaay stiftete. Ihre ganze Gestalt schien aus funkelndem Silber zu bestehen, und selbst aus ihren Augen sah er Silberfunken sprühen, als sie nun innehielt und Ajkinsaj abermals fixierte.
Der Herrscher von Kantunmak sah mit finsterer Miene zu Boden. Sein Gesicht war gerötet, er fletschte die Zähne, und sein gewaltiger Brustkorb hob und senkte sich vor mühsam unterdrückter Wut. Die Menge der Priester und Krieger wahrte noch immer völliges Schweigen, doch es war zu spüren, daß sie alle voller Spannung auf Ajkinsajs Antwort warteten.
Endlich sah der oberste Regengottpriester wieder auf zu Ixnaay. »Die Seher sagen seit acht Katun die Wiederkehr des Götterboten voraus. Eine Wiederkehr Ixkukuls hat kein Prophet jemals erwähnt.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und schürzte die Lippen. »Beweise mir durch ein Zeichen, daß du wirklich die Priesterin Ixquics bist!«
Unbeirrt erwiderte Ixnaay seinen Blick. »Du sollst das Zeichen bekommen, Ajkinsaj.« Ihre Stimme hatte einen Nachhall angenommen, zumindest in Roberts Wahrnehmung, als dränge sie aus himmlischer Ferne oder aus den Tiefen eines Abgrunds zu ihnen her. »Ixquic, liebste Silberhäsin der Nacht.«
Sie breitete die Arme aus. »Ahau Kin, goldener Adler des Tages. Kukulkán, gefiederte Himmelsschlange, und du, liebste Mam, Göttin alles Göttlichen, Herrin der Urflut, aus der alles kommt.« Für einen Moment hielt sie inne, mit einem wehmütigen Lächeln, wie es Robert schien. »Ihr Göttinnen und Götter, ich bitte euch, hört mich an. Wenn ihr wünscht, daß sich die hier in Kantunmak versammelten Maya, eure Geschöpfe, gegen die fahlhäutigen Eroberer ihres Landes erheben, wenn ihr wünscht, daß sie ihr Blut vergießen, ihre Körper zerstören, ihre Seelen versteinern, ihr Leben verröcheln in einem Krieg gegen tausendfach mächtigere Waffen, dann schweigt bitte, bleibt stumm und fern zum Zeichen, daß euch der Untergang eurer Kreaturen nicht rührt.« Wieder hielt sie inne, jedoch nur für einen kurzen Moment. »Wenn ihr aber wünscht, ihr Göttinnen und Götter, daß sich die hier versammelten Krieger und Priester der Maya nicht gegen die fahlhäutigen Invasoren erheben, daß sie die Flamme des Hasses in ihren Seelen ausblasen und in ihre Dörfer zurückkehren sollen, zu ihren Frauen und Kindern, um dort in Frieden zu leben, dann gebt uns ein Zeichen, damit euer Wille geschieht.«
Sie ließ die Arme sinken, und es schien Robert, als ob sie mit der Rechten zugleich eine Bewegung gegen ihn vollführt hätte, ein rasches Öffnen ihrer Hand und Spreizen der Finger, als wollte sie eine Kraft, einen magnetischen Strom in seine Richtung lenken. Noch während er sich fragte, was es mit dieser Gebärde auf sich haben mochte, ob er sie sich vielleicht nur eingebildet hatte, vernahm er hinter sich ein furchtbares Schnauben und Scharren. Und ehe Robert sich versah, ehe irgend jemand auf dem ganzen Platz, mit Ausnahme vielleicht von Ixnaay, begriff, was sich hier ereignete, hatte sich der Wallach aufgebäumt und zerrte so gewaltsam an dem Zaumzeug, mit dem er an der Stele festgezurrt war, daß das steinerne Bildnis umgerissen wurde und mitsamt seinem fleischgewordenen Wiedergänger auf den Rücken des Wallachs prallte, der mit einem elenden, schon sterbenswehen Wiehern zusammenbrach.
Das letzte, was Robert im Niederstürzen sah, war sie, Ixnaay, hoch über ihm, von einer silbrigen Aura tänzelnder Lichtzungen umgeben. Das letzte, was er spürte, durch den jähen Schmerz des Aufpralls und die baumdicke Steinsäule hindurch, war die federnde Weichheit des Pferdekörpers, den das Idol zu einem blutigen Ragout zerschlug.
4
»Henry, bist du das? Wo sind wir?«
»Still, Sir, Sie müssen sich schonen. Ihr Sturz - es
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