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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Trommlern und Flötenspielern hinauf, die auf dem Mauersims links über ihm in gedrängter Reihe saßen. Unverändert schlugen sie auf die beinernen Trommeln ein, die mit fahler Haut bespannt waren, und bliesen in die roten Knochenflöten, wobei ihr Blick leer und leuchtend über die Menge hinwegging.
    Eines aber hatte sich verändert. In einer schmalen Luke hoch oben in der Stadtmauer, dreißig Fuß über dem Mauersims der Musiker, vierzig Fuß über dem Boden stand sie: Ixnaay, hochaufgerichtet, mit düsterer Miene, im schimmernden Gewand der Priesterin Ixquics, und eine silberne Mondsichel schwebte im schwarzen Himmel ihres Haars.

3
     
     
    »Krieger der Maya, hört mich an!« Ihre Stimme übertönte das Winseln der Flöten und selbst das Donnern der Trommeln. »Ihr alle kennt meinen Namen und meine äußere Gestalt: In unserem heiligen Reich Tayasal versah ich den Dienst der obersten Priesterin Ixquics.«
    Die Flöten und Trommeln erstarben, eine nach der anderen, unter widrigen Mißtönen. Auch die Priester Cha'acs waren verstummt, allesamt, auf ein Zeichen Ajkinsajs, der auf einmal in der Menge seiner Priester stand, die Fäuste auf die Hüften gestemmt. Sein graues Haar bauschte sich im Wind, als er den Kopf hob und zu Ixnaay hinaufsah, mit einer Miene grimmiger Zufriedenheit, die Robert mehr erschreckte als der Haß, den er gestern in Ajkinsajs Gesicht gelesen hatte.
    »Krieger der Maya!« rief Ixnaay. »Ich bin zusammen mit dem Götterboten zu euch zurückgekehrt, um euch den Willen der zweiund zwanzig Gottheiten zu verkünden: Kehrt heim in eure Dörfer und Siedlungen, legt die Waffen nieder, kämpft nicht gegen die weißen Soldaten. Haß und Rachegier sind wie eine immerwährende Nacht des Wahnsinns, ein Traum der Verblendung, und die Göttinnen und Götter wünschen, daß ihr nun endlich aus diesem unheilvollen Schlaf erwacht.«
    Augen und Lippen zusammengekniffen, starrte die auf dem Platz zusammengedrängte Menge mit finsteren Mienen, in völligem Schweigen zu ihr hinauf. Erst jetzt fiel Robert auf, daß es allesamt Männer waren, zerfurchte Greise, stämmige Krieger, Priester jeden Alters, aber, wohin er auch schaute, keine einzige Frau. Bis auf sie: Ixnaay, India meiner Träume, dachte er, zu ihr emporspähend, die hoch droben in der Mauerluke stand, von dampfendem Buschwerk umgeben, wie eine Statue, wie damals in der Grotte des Regengottes in Chul Ja' Mukal. Er starrte zu ihr hinauf, Schweißtropfen zerblinzelnd, seinen Kopf gewaltsam nach links und aufwärts wendend. Jede Faser seines Körpers pochte und summte vor Erschöpfung und Peinigung und Hitze, und in seinem Kopf klopfte wieder der übel vertraute Schmerz.
    Vielleicht hätte er sie für immer so angestarrt, an sein steinernes Bildnis gebunden, den Kopf krampfhaft zu ihr emporgedreht. Aber die immer wütenderen Schmerzen hinter seiner Stirn zwangen ihn, sich doch wieder abzuwenden, wenn auch nur für einen Moment. Sein Blick fiel auf die grauen Priester vor ihm, in ihrer Mitte immer noch Ajkinsaj, der einem seiner Getreuen soeben ein Zeichen mit den Augen gab. Der Getreue war ein junger Priester von beinahe weibischem Aussehen, mit glattem, weichem Gesicht und glänzenden, langen Haaren. Er nickte und griff unter seine Tunika, eine obszöne Geste, wie es Robert schien. Als seine Hand aus dem Schurz wieder hervorkam, hielt er einen schwarzen Dolch, und unter den Blicken des obersten Regengottpriesters wiegte er die Waffe in der Rechten, dabei mit zusammengekniffenen Augen nach Ixnaay spähend.
    Hüte dich, Vorsicht! wollte Robert schreien, sie wollen dich töten! Aber es war wie in qualvollen Alpträumen: Er machte den Mund auf und zu, er atmete mühsam ein und aus, doch kein Laut kam hervor.
     
    Der junge Priester hob den Dolch über seinen Kopf und schleuderte ihn Ixnaay entgegen. Die Sonne schwebte in dem Wolkenloch über ihnen, und Robert spürte, daß ihm die Sinne schwinden wollten. Er spannte seine Muskeln an und riß die Augen auf, und die Waffe wirbelte durch die Luft, ein gezähnter Dolch, funkelnd und gleißend schwarz. Gebannt verfolgte er ihren Flug, wieder wollte er aufschreien, doch da war Ixnaay in ihrer Luke schon zur Seite geglitten, so daß das Messer sie lediglich an der Hüfte streifte und dann neben ihr klirrend zu Boden fiel.
    »Du beschwörst den Zorn der Götter herauf, Ajkinsaj!« Sie war erneut in die Mitte der Mauernische getreten. Die Fäuste auf die Hüften gestemmt, in der gleichen Haltung wie Ajkinsaj, stand

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