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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Zunge spürte er noch immer den warmen Schwall, der in seinen Mund gequollen war, kakaofarbenes Fleisch.

ELF

1
     
     
    »Das mächtige Mayareich von Chichen Itza liegt in Trümmern, aber durch dich, Bote der Götter, wird es wiederauferstehen.« Die Trommeln donnerten, fünf Dutzend oder mehr, in trägem Rhythmus, wie ein kolossales, kraftvoll schlagendes Herz. »Das mächtige Mayareich von Uxmal liegt in Trümmern, aber durch dich, Bote der Götter, wird es wiederauferstehen.« Im gleichen Takt wie die Trommler sprachen die Priester Cha'acs die rituellen Worte, in eintönigem Tonfall, daß es wie das Brausen eines gewaltigen Meeres klang.
    »Das mächtige Mayareich von Copan liegt in Trümmern, aber durch dich, Bote der Götter, wird es wiederauferstehen.« Es mußten Hunderte grauer Priester sein, in sechs weiten Halbkreisen hintereinander gestaffelt. Über ihren Köpfen hockten die Trommler, auf einem schmalen, langgezogenen Vorsprung in der Mauer, die mit Gras und Buschwerk bedeckt war und mehr denn je einer Bergwand glich.
    »Das mächtige Mayareich von Palenque liegt in Trümmern, aber durch dich, Bote der Götter, wird es wiederauferstehen.« Sie befanden sich vor dem Stadttor von Kantunmak. Die Sonne brannte herab, in tausend Pfützen glitzernd. Schweiß rann aus Roberts Haaren, lief ihm über Stirn und Wangen, tropfte aus seinem wirren Bart und strömte über seine fahle Brust, seine kalkweißen Beine hinab. Zu seiner Rechten erstreckte sich der Weg, gesäumt von Dickicht und Urwaldbäumen, den sie vor zwei Tagen entlanggetaumelt waren, am Ende ihrer Kräfte.
    »Das mächtige Mayareich von Mayapán liegt in Trümmern, aber durch dich, Bote der Götter, wird es wiederauferstehen.« Die Trommeln donnerten, wieder und wieder brachen die grauen Priester in rituelle Anrufungen aus, unaufhaltsam wie das anbrandende Meer. Unmittelbar bevor sie ihn hier herausgeleitet hatten, war ein gewaltiger Regen niedergegangen, begleitet von metallischen Donnerschlägen. Nebel wallten aus Gestrüpp und Wipfeln empor, und der Himmel war noch immer mit Wolken bedeckt, so grau wie die Gewänder der Priester Cha'acs.
    »Das mächtige Mayareich von Xunantunich liegt in Trümmern, aber durch dich, Bote der Götter, wird es wiederauferstehen.« Überall zwischen Bäumen und Mauern waren weiße Tücher ausgespannt, die den halbkreisförmig gestaffelten Priestern Schatten spendeten, ebenso wie den Tausenden von Mayakriegern, die sich auf dem engen Platz vor der Stadtmauer versammelt hatten. So war einzig Robert der erbarmungslosen Sonne preisgegeben, die in einem kreisrunden Wolkenloch über ihm schwebte und wie mit tausend Flammenschwertern auf ihn herniederstach.
    »Das mächtige Mayareich von Cobá liegt in Trümmern, aber durch dich, Bote der Götter, wird es wiederauferstehen.« Sie hatten ihn an sein eigenes steinernes Bildnis gefesselt, und nach einem kurzen Moment des Erschreckens hatte er sich gefügt, da er einsah, daß es so notwendig und richtig war. Das Ritual der Wiederkehr, dachte er, gewiß banden sie ihn nur deshalb an die Säule, um ihn nachher, auf dem Höhepunkt der Zeremonie, desto feierlicher zu entbinden, zum Zeichen, daß der Stein wahrhaftig zu Fleisch geworden war. Wieder und wieder blinzelte er sich beißende Schweißtropfen aus den Augen. Seine Füße und Hände begannen zu kribbeln, so straff hatten Ja'muchs niedere Priester die Lederriemen um seine Fußknöchel und seine Handgelenke gezogen, die hinter der Steinsäule gefesselt waren.
    »Das mächtige Mayareich von Tikal liegt in Trümmern, aber durch dich, Bote der Götter, wird es wiederauferstehen.« Hinter seinem Rücken, im Schatten der Stele, übersetzte Henry, mit sanfter, einschläfernder Stimme, die zugleich der Beruhigung des Wallachs diente. Zu Roberts Erstaunen hatten die Priester auch sein Pferd hierhergeführt und in seinem Rücken an das Bildnis gefesselt, als sollte auch die Fleischwerdung des geflügelten Pferdes beschworen werden, das über dem Haupt seines gemeißelten Doppelgängers schwebte. Durch die monotonen Anrufungen, die zehntausendäugige Menge, die allgemeine Anspannung in Unruhe versetzt, schnaubte der Wallach wieder und wieder, warf den Kopf empor und scharrte mit den Hufen im Schlamm, als ob der Schatz gerade dort, zu Roberts Füßen, vergraben läge.
    »Das mächtige Mayareich von Tayasal liegt in Trümmern, aber durch dich, Bote der Götter, wird es wiederauferstehen.« Abrupt verstummten die Trommeln, doch nur für

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