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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Sprache und die Gebräuche deiner Landsleute. Vor allem aber wurde ich in die überlieferten Liebeskünste und Trancetechniken der Mondpriesterinnen eingeweiht. Ich lernte gierig und begriff schnell. Ich war jung, wohlgestalt und in jenem Haus in der Cork Street bald schon sehr begehrt. Vor allem aber war ich furchtlos und skrupellos, und so plauderten die höchsten Offiziere und Beamten des Gouverneurs unter meiner Obhut bald schon ihre heikelsten Geheimnisse aus.«
    Wut und Eifersucht, die mit einem Mal in ihm emporrasten, tosenden Wogen gleich. Cork Street, dachte er, womöglich eine der hölzernen Villen in direkter Nachbarschaft von Molton House? Wo Mrs. Molton ihr puritanisches Regime geführt hatte, während die Offiziere Ihrer Majestät nebenan sich unter den Händen, zwischen den Schenkeln der Mayapriester innen wanden? Er erbebte unter dem Sturm seines Jähzorns, daß sein papierener Leib raschelte und rauschte wie ein Baum im Wind. Liebespriesterin, furchtlos und begehrt. Bilder, die vor seinem geistigen Auge vorüberwirbelten, wie fieberfarbenes Laub im Sturm. Ixnaay, kniend, nackt, vor einem stiernackigen, kniehoch gestiefelten Offizier. Ixnaay, wie begraben unter dem feisten, mehlbleichen Leib eines britischen Provinzialbeamten, der wieder und wieder in sie hineinstieß. Offene Dolchwunde! Und Robert knirschte mit den Zähnen und preßte sich die Fäuste an die Schläfen, während Ixnaay schon weitersprach, melodisch und flüsternd wie im Traum.
    »Immer wenn Abgesandte Ajkinsajs in die Stadt kamen, nächtigten sie bei uns, in unserer Bretterhütte in den Elendsgassen. So erfuhren wir auch von ihnen, ob Ajkinsaj neue Aufstände plante oder ob sie dort draußen in den Wäldern und Ruinenstädten noch an die alte Prophezeiung glaubten: an deine Wiederkehr und den grandiosen Sieg, zu dem du sie führen würdest.« Ihr rasches, le ises Lachen, wie kleine Perlen in seinem Ohr. »Denn natürlich konnten auch Ajkinsajs Abgesandte unseren Künsten nicht widerstehen, selbst Ajeetzich nicht, der Uralte, der in den Armen meiner Mutter von Ajkinsajs Schlichen zu raunen begann.«
    Und wer hat in deinen Armen gelegen, wer? Jener jüngere Abgesandte, den Stephen niedergeschossen hat, oder war es gar der Jüngste ihres Trios, der glatthäutige Knabe? Er glaubte es nicht länger zu ertragen, die Süße ihrer Berührungen, das Rascheln der Papierstreifen, ihr en kitzelnden Atem, die
    verworfenen Bilder, die sie in ihm heraufbeschwor.
    »Aber es war alles vergebens, wir waren gescheitert von Anfang an.« Wehmut und Trauer auf einmal in ihrer Stimme, auch Müdigkeit. »Sie verrieten uns alle ihre Pläne, die Männer mit der hellen und die Männer mit der braunen Haut, bereitwillig und ohne sich nachher auch nur zu erinnern, was sie in unseren Armen ausgeplaudert hatten. Berühre ihre Klinge auf die richtige Weise, zeige ihnen die süßeste Wunde für ihren Dolch, und sie vergessen jede Vorsicht. Wir versetzten sie in Trance, wie es die Priesterinnen Ixquics seit ältester Zeit zu tun pflegen, und flüsterten ihnen ein, daß sie nicht in diesen Krieg ziehen sollten, in dem zu siegen sie sich nicht einmal wünschen konnten. Falls Ajk insaj siegte, würde er nach der alten Prophezeiung seine Macht über die Maya wieder mit den obersten Priestern der anderen Götterkulte teilen müssen. Und falls die Armee des britischen Gouverneurs siegte, würden sich die überlebenden Maya nur noch tiefer gedemütigt fühlen, noch verzweifeltere Aufstände anzetteln, eine weitere Welle blutiger Gewalt im ganzen Land entfesseln. Zieht nicht in diesen Krieg, suggerierten wir Frauen von Lomxitil den Offizieren des Gouverneurs und den mächtigen Abgesandten Ajkinsajs.«
    Ihre Stirn an seiner Schläfe, flüchtig, leicht, nur für einen Moment. Als sammelte sie Kraft, wofür auch immer, weitere Eingeständnisse vielleicht. Abermals ein unterdrücktes Stöhnen, schmerzlich: Henry? Robert wollte nach ihm schauen, ihn leise rufen, aber da sprach sie schon weiter.
    »Unsere Einflüsterungen waren vollkommen wirkungslos. Es dauerte lange, viel zu lange, bis wir begriffen, warum wir in diesem entscheidenden Punkt versagt hatten. Und als wir es dann verstanden hatten, wußten wir allerdings auch, daß wir gänzlich gescheitert waren: Die Männer beider Seiten wollten den Kampf. Nur deshalb besaß die Vergangenheit solche Macht über sie. Ahnen, Götter, Traditionen hier wie dort. Alles, was tot und abgestorben war, riefen sie an, da es sie bestärkte

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