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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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und bestätigte in ihrem Drang, die Macht des Todes über die Lebenden noch weiter zu mehren. Das ist die Wahrheit, die wir endlich begriffen, das ist euer Wahnsinn, Winikuj, der Wahnsinn der Männer: daß ihr nach Krieg und Blutvergießen giert, nach der offenen Wunde, die ihr selbst euresgleichen zufügen wollt, Auge in Auge, mit eigener Hand. Und so ist die törichte List Ajkinsajs aufgegangen, der seine Abgesandten nach Fort George geschickt hat, um die Soldaten des Gouverneurs hier heraus in den Dschunge l zu locken. In eine Schlacht, die Tausende Tote fordern wird, die er nicht gewinnen kann und noch viel weniger gewinnen will und in der auch die Briten nichts zu gewinnen haben, weder Ruhm noch gar Frieden im Land.«
    Diesmal schwieg sie lange, auch ihre Hände auf seinem Körper blieben starr. Er glaubte schon, daß sie nicht mehr weitersprechen würde, als er wieder ihren kitzelnden Atem spürte und das wispernde Singen ihrer Stimme in seinem Ohr.
    »Wir sind gescheitert, meine Mutter und die anderen Frauen gestanden es sich ein, noch ehe die Schüsse im Park des Gouverneurs fielen. Ich allein wollte nicht an unsere Niederlage glauben, auch deshalb bin ich hierher gekommen, nach Kantunmak. Aber was heute geschehen ist, hat mir die letzte Hoffnung geraubt. Ich weiß jetzt, daß auch ich nichts daran ändern kann: Morgen werden die Männer meines Volkes zu Tausenden in den Tod gehen, unbeirrbar und unbelehrbar. Sie werden unter den Schußsalven der britischen Soldaten zusammenbrechen, im Grunde aber werden sie unter den kolossalen Trümmern unserer eigenen Vergangenheit zermalmt werden, nicht anders, als das uralte steinerne Bildnis heute dein Pferd zu Tode gedrückt hat.«
    Der Wallach, sein elendes Ende - aufs neue spürte Robert einen wütenden Schmerz. Auch ihm erschien der Tod des unglückseligen Pferdes auf einmal wie ein rätselhaftes Symbol des Zusammenpralls ihrer beider Völker, der tödlichen Verständnislosigkeit, die von Anfang an zwischen ihnen herrschte. Warum, überlegte er wieder, hatten die Priester Ajkinsajs das Pferd überhaupt mit ihm an die Stele geknüpft? Und weshalb war auf der Säule ein geflügeltes Pferd abgebildet, schwebend über seinem Ebenbild? Er sann noch darüber nach, in fiebrigen, haltlosen Gedankenbildern, als unweit des Eingangs ihrer Kammer laute Stimmen erschallten.
    »Bald werden sie dich abholen, zu Ajkinsajs grausiger Heilungszeremonie. Paß nur gut auf, was für einen Zauber er dort anrichtet!« Ihr Gesicht schwebte über seinem im Düstern, darüber die silberne Sichel des Mondes. »Um mich mach dir keine Sorgen, Ajkinsajs Priester fürchten mich, seit ich euch allen dort draußen erschienen bin, als wiedergekehrte Hohepriesterin Ixkukul.«
    Er wagte es kaum zu glauben, doch noch weniger wagte er sich vorzustellen, welche Peinigungen Ixnaay erwarteten, falls sie tatsächlich in Ajkinsajs Hände fiel. Angstvoll lauschte er nach draußen, aber die Stimmen waren wieder leiser geworden, als ob sich die Wächter aufs neue von ihrem Türloch entfernt hätten.
    »Daß du mit der Stele umgestürzt bist, gar noch das Pferd getötet wurde, hat die Priester Cha'acs und die versammelten Krieger tief beeindruckt. Schließlich ist jener Mann, für dessen Wiedergänger sie dich ansehen, damals in Tayasal als Priester eines göttlichen Pferdes aufgetreten. Und doch werden sie, wie von Ajkinsaj befohlen, in die Schlacht ziehen, ja sie werden nicht einmal auf die Idee kommen, daß Männer irgend etwas anderes tun könnten, als ihresgleichen das Messer ins Fleisch zu stoßen.«
    »Priester eines göttlichen Pferdes?« Er wiederholte ihre Worte, murmelnd in tiefem Erstaunen. Es kam ihm ganz und gar phantastisch vor, daß die Maya von Tayasal ein Pferd zu ihrer Gottheit erhoben hatten. Zugleich aber schien es ihm nur allzu passend, daß sie gerade ihn für den wiedergekehrten Pferdegottpriester hielten, ihn, der mit dem Wallach ärger gehadert hatte als mancher Christ mit seinem Schöpfergott.
    Ihre Augen funkelten über ihm. »Noch heute machen sich viele britische Offiziere in Fort George über diese alte Geschichte lustig, die in gewisser Weise den Untergang von Tayasal eingeleitet hat: Als sich der Eroberer Hernán Cortes Anfang des 16. Jahrhunderts für wenige Tage in Tayasal aufhielt, ließ er dort ein lahmendes Pferd zurück. Die Maya erhoben es zum Gott und brachten ihm Opfer aus Weihrauch, Gold und Kakao dar, das Pferd aber verschmähte die Gaben und starb. Wie oft habe ich

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