Im Tempel des Regengottes
war furchtbar, aber Sie haben noch Glück gehabt. Wären Sie unter die Stele geraten, sie hätte Sie zerquetscht wie...«
Das Pferd, o mein Gott. Robert knirschte mit den Zähnen. Anscheinend lag er flach auf dem Boden, auf einer Strohmatte, von Dunkelheit umgeben. Zu seiner Linken kauerte Henry, eine schmale schwarze Silhouette, halb über ihn gebeugt.
»Der Wallach ist tot.« Er murmelte es, mehr in Gedanken als zu Henry, der mit einem Seufzen antwortete, halb Bestätigung, halb Klage. »Es tut mir so schrecklich leid.« Tatsächlich spürte er ein Brennen in den Augen und einen so wilden, wütenden Schmerz in seinem Innern, als hätte er einen Freund verloren, einen lange vertrauten Gefähr ten. Und war es nicht auch so, trotz aller Mißhelligkeiten zwischen ihm und dem Wallach, oder gerade deshalb? Auf einmal fühlte er Henrys Hand auf seiner Linken, ergriff sie und spürte den Gegendruck der kleinen Finger, was ihn noch stärker rührte. Rasch machte er sich los.
»Wo sind wir hier?«
»In der Ka'ana, Sir.« Henrys Stimme bebte, vor Erschöpfung oder Schmerz. »Sie haben uns lange Treppen emporgetragen, noch viel mehr Stufen als unlängst zum Thronsaal Ajkinsajs. Diese Kammer hier muß sich auf dem Dach des Palastes befinden, oder wenig darunter.«
Uns getragen? Flüchtig wunderte sich Robert über diese Worte, schon schweiften seine Gedanken wieder ab. »Ich muß längere Zeit ohne Bewußtsein gewesen sein. Sag doch, was ist währenddessen geschehen?«
Aus einer rätselhaften Scheu heraus vermied er es, Ixnaays Namen zu nennen, sie auch nur zu erwähnen. Aber Henry würde ohnehin wissen, daß alle seine Fragen nur ihr galten, ihrem Befinden und Verbleib. In den Wochen gemeinsam bestandener Gefahren hatte sich zwischen ihm und seinem jungen Diener eine Vertrautheit eingestellt, die meist nicht einmal mehr der Worte bedurfte. Den Wallach zu verlieren war schmerzlich, dachte Robert, zumal er noch immer nicht verstand, weshalb sie das Pferd überhaupt zusammen mit ihm an der Stele festgebunden hatten. Aber wenn Henry etwas zustoßen würde, er würde es nicht ertragen, es wäre, wie wenn ein Stück seiner selbst aus ihm herausgerissen würde.
»Als die Stele mit Ihnen umstürzte, Sir, und das Pferd erschlug, entstand unter den Priestern und Kriegern eine große Verwirrung. Die Priesterin rief aus, es sei das Zeichen der Götter, daß die Maya nicht in den Kampf ziehen sollten.« Henry schwieg einen Moment, und trotz der Düsternis glaubte Robert zu sehen, wie die Miene des Mestizen sich verdüsterte. Dann aber, fuhr Henry fort, habe Ajkinsaj die Menge durch eine gebieterische Handbewegung zum Schweigen gebracht. Der Sturz der Säule und der Tod des Pferdes, so der oberste Regengottpriester, seien allerdings Zeichen der Götter. Aber ihre Botschaft laute im Gegenteil: Zieht in die Schlacht, Krieger der Maya, und brecht mit Hilfe eurer mächtigen Ahnen die Herrschaft der fahlhäutigen Reiter. »Als seine Worte verklungen waren«, schloß Henry, »und alle Blicke sich wieder auf jene Mauerluke richteten, war die Priesterin verschwunden.«
Erleichterung durchströmte Robert. Sie war nicht in die Hände der Schergen Ajkinsajs gefallen, Ixnaay war frei und unversehrt, das allein zählte. Er versuchte sich auf der Strohmatte aufzurichten, doch aus irgend einem Grund wollten seine Muskeln ihm nicht gehorchen. Wie eine steinerne Säule so starr lag er am Boden. Dabei verspürte er seltsamerweise keinerlei Schmerzen, weder in seinem Körper, obwohl die Priester ihn erbarmungslos geschlagen hatten, noch in seinem Kopf, als hätte sich eine negative Kraft aus all seinen Fasern entladen. Statt dessen war er von quecksilbriger Leichtigkeit erfüllt, deren trügerische Qualität ihm nur vage bewußt war, einer fiebrigen Überbeweglichkeit der Phantasie, nicht unbedingt des Verstandes oder Körpers.
Seine Augen hatten sich schon ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt, und so erkannte er nun, daß sie sich in einer engen, länglichen Kammer befanden, an deren linker Schmalseite mehrere Stufen emporführten. Das Türloch darüber war mit Brettern verschlossen, die nur wenig fahles Licht durch schmale Ritzen sickern ließen.
Henry schien seinem Blick gefolgt zu sein. »Dort draußen stehen Wachen.« Er senkte seine Stimme zu einem Flüstern.
»Trotzdem ist sie bei Ihnen, Sir, die Frau, die Sie über alles in der Welt liebt.«
Hatte Henry diesen letzten Satz tatsächlich gesagt? Robert war sich nicht sicher, zu leise hatte
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