Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
Vom Netzwerk:
deinen Landsleuten zu erklären versucht, daß sie diese Geschichte mißverstehen, daß sie in Wahrheit keinerlei Anlaß zu Hohn oder Hochmut bietet. Denn die Maya von Tayasal vergöttlichten das Pferd nicht etwa deshalb, weil sie Tiere dieser Art nicht kannten.« Ihre Hände, nun wieder in Bewegung auf seinem Körper, nervös jetzt, wahrhaftig wie kleine Pferde, seine raschelnde Brust hinauf. »Auf Wandzeichnungen in unseren ältesten Tempelruinen sind Darstellungen von Pferden überliefert, von wilden Pferden in großen Herden ebenso wie von gezähmten Pferden, auf denen Reiter sitzen. Nur sind die Pferde der Maya irgendwann ausgestorben, und so mag es uns allen, ob braun oder bleich, wohl öfter ergehen: Das Abgestorbene wird uns zum rätselhaften Fluchtpunkt von Furcht und Sehnsucht und damit, früher oder später, zum Gott.«
    Ihr Gesicht schwebte noch tiefer auf ihn hernieder, so sanft und leicht wie eine Vogelschwinge, und für einen winzigen Moment berührten ihre Lippen seinen Mund »Auf bald, Winikuj.« Plötzlich zitterte ihre Stimme, und er glaubte zu erkennen, daß ihre Augen über ihm im Halbdunkel verräterisch glänzten.
    »Wir sehen uns wieder - in diesem Leben!«
    Dann stampfende Schritte, ein hölzernes Knirschen und Sonnenlicht, durch das Türloch in ihre Kammer flutend. Auf den Stufen vier Wächter in grauen Gewändern, und Robert sah blinzelnd um sich, nach links und rechts und hinter sich, soweit er es vermochte, doch von Ixnaay fand er keine Spur. Nur Henry hockte neben ihm auf dem Boden, und der rechte Fuß des kleinen Dieners war mit einem silberfarbenen Verband umwunden, auf dem nasse Blutflecken prangten.
    »O mein Gott!« Robert murmelte es, auf Henrys Fuß starrend, vor seinem geistigen Auge die gräßlichen Bilder der Mayajungen, ihre Beinstümpfe, abgequetschten Arme vorgestern in Ajkinsajs Thronsaal.
    »Die Stele, Sir, als Sie stürzten - ich versuchte sie festzuhalten...«
    Gewaltsam riß er seinen Blick von Henrys Verband los. In seinem Kopf die Frage, die er nicht auszusprechen, kaum zu denken wagte: Wie sieht es darunter aus, wie?
    »Ixnaay heilt uns, Mr. Thompson, mit ihren Händen.« Henrys Finger flatterten über seinem Verband. »Ihren Rücken und auch meinen Fuß. Sie sagt, es wird alles wieder gut.«
    Meinen Rücken? Abermals versuchte er sich aufzurichten, und da durchfuhr ihn noch einmal der jähe Schmerz, vom Nacken bis hinab zu den Lenden, wie vorhin, als er mitsamt der Steinsäule umgerissen worden war.
    »Koieneex - mitkommen.« Die grauen Priester stellten sich zu ihren Füßen und hinter ihnen auf.
    Erst als er selbst und neben ihm Henry emporgehoben und schaukelnd davongeschleppt wurden, wurde Robert bewußt, daß er auf einer hölzernen Trage lag, unbeweglich wie ein steinernes Bildnis, und Henry auf einer ebensolchen Bahre hockte, seinen rechten Unterschenkel mit dem blutigen, unförmig verbundenen Fuß wie etwas Fremdes, schon Abgestorbenes weggespreizt.

ZWÖLF

1
     
     
    Glimmende Kienspäne schwenkend, Tragen voll praller Zigarren auf dem Rücken schleppend, so bewegten sich die Mayajungen durch die Menge, die auf dem First der Ka'ana versammelt war. Es waren überwiegend Priester Cha'acs, zu Hunderten eng gestaffelt, in nebelfarbene Tuniken gewandet, deren Grau sich mit den Wolken über ihnen zu vermischen schien. Unbehaglich beobachtete Robert, wie einer der Jungen auf ihn zukam, durch die gedrängten Reihen der Priester springend, das Gesicht vor Anstrengung verzerrt. Der Schweiß lief ihm über die Wangen und tränkte seinen leuchtend roten Stirngurt, seine magere Brust hob und senkte sich, und unter dem Schenkelgurt zuckte der Stumpf seines linken Beins, abgequetscht zwei Handbreit über dem Knie.
    »Puuroj, puuroj!« Die helle Stimme des kleinen Maya übertönte das Brausen und Raunen, das von dem Platz unter der Ka'ana heraufdrang. Zehntausende Krieger mochten dort unten mittlerweile versammelt sein, in den silbernen oder goldfarbenen, fledermausschwarzen oder maisgelben Gewändern der Mayavölker, von denen sie ausgesandt worden waren, um dem Boten der Götter in die große Schlacht zu folgen. »Zigarren, Zigarren!«
    Robert beeilte sich, das dargebotene Räucherwerk anzunehmen. Er versuchte sogar sich zu dem Jungen hinabzubeugen, der ihm den glimmenden Kienspan entgegenreckte, aber das ging nicht, da er mit Lederriemen unter den Achseln und um die Hüften an seine Trage gebunden war. Vorhin hatten die Priester ihn hier heraufgeschleppt, aus der

Weitere Kostenlose Bücher