Im Tempel des Regengottes
aufgebrochen waren, hatten die drei Reisenden kaum ein Wort miteinander gewechselt. Sie alle waren vollauf damit beschäftigt, sich an den zerschlissenen Lederbänken festzuklammern und die ärgsten Achsstöße durch vorausahnende Körperdrehungen zu lindern. Der Fahrweg, auf dem sie dahinschlingerten, verlief durch Sumpf und Dschungel schnurgerade westwärts, von Fort George bis zum Ufer des Labouring Creek. Es war die Straße, auf der Ochsengespanne die kostbaren Tropenhölzer aus den Tiefen des Regenwaldes ostwärts zu ziehen pflegten, ein unbefestigter Schlammweg mit knietiefen Radspuren und Tümpeln voller Bracke, in denen sie wieder und wieder bis über die Achsen versanken.
In unregelmäßigen Abständen öffnete Climpsey, der auf der Bank neben Robert saß, seinen Koffer, zog ein Fernrohr mit abgestoßenem Gehäuse hervor und schob sich bis zum Gürtel aus dem Seitenfenster, um den Fahrweg hinter ihnen nach berittenen Verfolgern abzusuchen. Bisher hatte er, in die Kabine zurücktauchend, nur jedesmal den Kopf in Mortimers Richtung geschüttelt und danach viel Zeit darauf verwandt, seinen zerzausten Rotschopf mit gespreizten Fingern zu striegeln. An Robert hatten die beiden seit ihrer Flucht aus dem Park des Gouverneurs kein einziges Wort gerichtet, ihm allerdings während der Fahrt immer wieder bedeutungsvolle Blicke zugeworfen, in denen er Tadel und Milde, Drohung und leise Ermutigung las.
Vor den Kutschfenstern zog der Dschungel vorbei, dreifach mannshohe Mauern aus Lianen, Astwerk, fleischigen Blättern, die sich hoch über ihnen zum lebendigen Gewölbe verbanden, doch Robert nahm es allenfalls am Rande wahr. Die drückende Witterung, das Rattern der Räder, selbst die gleichförmigen Schreie des Kutschers, dies alles schläferte ihn unbezwinglich ein. Die Kutsche, er selbst, seine beiden Gefährten, alles tanzte und drehte sich vor seinen Augen und bewegte sich wie in traumhaftem Taumel dahin. Benommen schaute er in das runde, stets vorwurfsvoll wirkende Gesicht von Mortimer, der ihm gegenübersaß, die wasserhellen Augen zusammengekniffen, das honiggelbe Haar zu Büscheln verfilzt. Im Halbschlaf sah er sich in seine Kindheit zurückversetzt, heiße, staubige Tage, als er mit den Eltern zur Sommerfrische gereist war, in qualvoll enger Kutsche, und auch damals wollte die Fahrt nicht enden, und die Eltern blickten ihn stumm und vorwurfsvoll an, Stunde um Stunde, bis er glaubte, daß alle seine Sünden offenbar geworden seien und ihm in leuchtenden Lettern auf der Stirn geschrieben stünden, und er am liebsten durch ein Loch im Kutschenboden verschwunden wäre, aber da war kein Loch, kein Entkommen, schon damals nicht. Als wäre er wieder ein Knabe von zehn oder dreizehn Jahren, so sah Mortimer ihn mit väterlicher Strenge an, zornig über die Verfehlung, der er sich schuldig gemacht hatte, und Robert öffnete mehrmals den Mund, um sich zu erklären, die Dinge zurechtzurücken, seine Unschuld zu beteuern, aber dann traf ihn wieder Mortimers tadelnder Blick, oder er spürte, wie Climpsey ihn von der Seite ansah, mißbilligend und stets bereit, ihn für sein Ungeschick oder ein Fehlverhalten zu verspotten. Und so machte er jedesmal den Mund wieder zu, klammerte sich mit schweißnassen Fingern an der Bank fest und beschloß, ihre Aussprache auf später zu verschieben, wenn die Umstände günstiger wären.
Irgendwann mußte er tatsächlich eingeschlafen sein. Als er zu sich kam, sah er voller Schrecken, daß Mortimer ihm nahezu nackt gegenübersaß, ein ungeheurer Fleischberg in Unterhosen, die massige Brust, Arme und Schenkel, selbst der sich vorwölbende Bauch bedeckt mit einem dichten honiggelben Vlies. Rasch sah Robert zur Seite, und sein Blick traf auf Climpsey, der gleichfalls alle Kleidung abgeworfen hatte. So gewaltig der entblätterte Mortimer wirkte, ein riesenhafter, honiggelber Kater, so mager, ja ausgemergelt sah der entblößte Climpsey aus, ein räudiger Fuchs mit rostrotem Brustflaum und mondbleicher Haut, aus der die Rippen hervorstachen.
Mortimer hatte seinen Seesack geöffnet und durchwühlte mit beiden Händen das unförmige Gepäckstück. Auch Climpsey durchsuchte geschäftig seinen Koffer, und während sie durch Schlamm und Schlaglöcher dahinschlingerten, streiften die beiden Kumpane helle, kurzärmlige Leinenhemden über und fuhren in speckige Khakihosen. Robert verfluchte den Zufall, der ihn gezwungen hatte, ausgerechnet in seinem Kirchanzug aus schwarzem Flanell in die Wildnis zu
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