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Im Tempel des Regengottes

Im Tempel des Regengottes

Titel: Im Tempel des Regengottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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sehen.
    »Tzul«, sagte Mabo. »Die Gottheit der geilen Fäulnis. Es heißt, daß Ixquic in den Neumondnächten das Lager des Hundsgottes teile.« Der Mestize versuchte zu lächeln, über Robert gebeugt, doch er wirkte kaum weniger verängstigt als Ajkech. »Wir sind am Ziel, Herr.« Er richtete sich auf, und Robert sah, daß der Gang zwei Schritte weiter vor einer Steintür endete.
    Die Tür stand spaltbreit offen. Ajkinsaj kauerte davor, die Stirn und eine flache Hand gegen die Platte pressend, als ob er versuchte, die Tür noch weiter aufzudrücken. Seine entblößte Hinterseite sah grauenvoll aus, wie mit Messern zerfleischt, selbst im matten Schein der einzigen Fackel, die noch ein wenig Licht spendete. Es war Miriams Fackel, die beiden kleineren Leuchten dagegen, denen die berauschenden Dämpfe entströmt sein mußten, lagen ausgebrannt am Boden. Robert nahm all diese Einzelheiten mechanisch in sich auf, wie er auch ohne jede Regung registrierte, daß Miriam gleichfalls übel zugerichtet war, ihre Kutte von der Brust bis zum Saum hinab zerfetzt, das rechte Auge verfärbt und halb zugeschwollen. Nur Stephen und Paul schienen noch einigermaßen bei Kräften, auch wenn ihre Gesichter mit blutigen Kratzern übersät waren, wie von Katzenkrallen.
    Paul wirkte sogar ausgesprochen munter, als er einen Fuß auf Ajkinsajs linke Schulter setzte und den Priester Cha'acs zur Seite stieß. »Ausgezaubert, Affenvogt«, sagte er und schlüpfte durch den Spalt in der steinernen Tür, die mit einem einzigen Zeichen geschmückt war: einem überlebensgroßen Frosch, aus dessen Maul ein gleichschenkliges Kreuz ragte, in steiler Schräge und leuchtend rot wie die Rüsselnase Cha'acs.

3
     
     
    Der Raum hinter der Steintür war viel kleiner, als er erwartet hatte, ein schmales, langgezogenes Gewölbe, aus dessen Tiefe fahles Licht drang, eigentlich nur eine Verlängerung des Ganges, durch den sie gekommen waren. Behutsam trat er über die Schwelle, auf Ajkechs Schultern gestützt und bemüht, die Aufmerksamkeit der Gefährten nicht auf sich zu lenken. Er hörte sie murmeln und rumoren, aber zu sehen war gar nichts, nur flackerndes Licht und ab und an ein Schatten an der Wand.
    Mit der fest auf seinen Rücken gebundenen Bahre konnte er sich nur mühsam bewegen, steifleibig wie eine zu spukhaftem Leben erweckte Skulptur. Bei jedem Schritt drückte sich die zersplitterte Holzkante in seine Kniekehlen, und die Papierstreifen an seinen Beinen und auf seiner Brust raschelten. Einen Moment lang hatte er erwogen, die Riemen zu zerreißen und sich der hölzernen Bürde auf seinem Buckel kurzerhand zu entledigen. Aber er hatte es nicht gewagt, aus Angst, seine Rückenverletzung zu verschlimmern, wenn er gegen Ixnaays Anweisungen verstieß.
    Ixnaay. Sobald er an sie dachte, begann sein Herz schneller zu schlagen. Am liebsten wäre er sofort losgelaufen, um nach ihr zu suchen, sich zu vergewissern, daß sie am Leben war, ihr endlich zu gestehen, wie sehr er sie liebte. Die India seiner Träume. Mit einem Mal schien es ihm unbegreiflich, daß er nicht längst mit ihr auf und davon gegangen war, in Fort George oder in Chul Ja' Mukal. Warum nur hatte er so lange Zeit wie gebannt gewartet, auf den Beginn der Katastrophe, den Ausbruch der Schlacht und des schatzfiebrigen Wahnsinns von Stephen, Miriam und Paul? Seit er sich mit Ajkechs Hilfe auf seine Füße aufgerichtet hatte, dachte er darüber nach. Wieder sah er den goldenen Träumer vor sich, und es schien ihm, daß sein ganzes bisheriges Leben ein Traum gewesen wäre und er nun, nach ihrer Reise durch Xibalbá, dem Erwachen näher denn je.
    Schluß mit der Grübelei, mahnte er sich, viel zu lange hatte er gegrübelt und geträumt. Seit er vorhin zu sich gekommen war, fühlte er in sich eine wilde Lebensgier, doch zugleich war ihm nur zu sehr bewußt, daß er kaum mehr eine Chance hatte, seine Haut zu retten. Sicher hatten die Gefährten längst beschlossen, ihm den Garaus zu machen, damit er seinen Anteil des Schatzes nicht einfordern konnte. Und selbst wenn er ihnen versichern würde, daß er kein goldenes Idol, keine Jademaske, nicht einen Silberfaden von ihrer Beute beanspruchte, würden sie ihn dennoch zu Tode bringen, aus Sorgfalt oder einfach aus Freude an seinen Qualen.
    Aus der Tiefe des Gewölbes erklang leises Klirren, wie von Geschmeide und Ringen, und Robert sagte sich, daß ihm zumindest eine Hoffnung noch geblieben war. Höchstwahrscheinlich würden sie ihm nicht sofort das

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